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ABCDEF, SDKARÖE, REALTWENTY | rural art

Stefan Scherer | Kunst und Texte | ABCDEF, SKADERÖE, REALTWENTY – rural art | Galerie im Ganserhaus | 25.10.2014

 

 

Drei veritable und in der Graffiti-Szene bedeutende Künstler, die ich in ihrer ganzen Unaussprechlichkeit vorstellen darf; das sind ABCDEF, mit Zeichnungen im Eingangsbereich, wie überhaupt Zeichnung und die Zeichen sein eigentliches Element sind, dann SDKARÖE, der seine Graffiti und Streetart-Motive nicht nur auf das geometrische Rechteck abstrahiert sondern auch ins Dreidimensionale, wie hier in seinen zwei freistehenden Kompositionen aus Glas und Stahl und schließlich REALTWENTY, der Maler unter den Dreien, der außer seinen stringenten Malereien auch Objekte gestaltet, die nicht gerade von Pappe sind.

 

Wir beschäftigen uns im AK nun schon seit Jahren mit der Idee einer Graffiti, bzw. Streetartausstellung. Es ging immer heftig hin und her in wie weit Streetart samt seiner unendlichen Stilarten Kunst sei, nicht vielleicht doch eher ein soziales Phänomen als ein ästhetisches. Allein die Differenzierung zwischen Graffiti, Streetart und Urbanart ist für den Ausstellungsmacher eine Anstrengung für sich – und was davon Kunst ist und welche Bedingungen diese Art von urbaner Volkskunst dazu macht und überhaupt, wie man das ganze in einer Galerie präsentiert. Lebt Streetart nicht davon, dass sie auf den Strassen stattfindet, Urbanart nicht vom Kontext im städtischen Raum und Graffiti nicht von der Spontaneität reflexhaft eine Markierung zu setzen, wie der griechische Botenjunge Dimitaki, der im New York der siebziger Jahre mit der Ziffernfolge „Taki 183“ seine Route markierte, dann Scharen von Nachahmern fand bis einer auf die Idee kam seinen Namen auf die U-Bahn zu schreiben? Oder der erst kürzlich in Ausübung seiner Sprayertätigkeit verstorbenen Hamburger Sprayer OZ, dem es gelungen ist ganz Hamburg mit annähernd 120.000 tags zu überziehen und damit in der Szene ein sogenannter „all city king“ wurde. Wenn man durch Hamburg mit dem Auto fährt oder mit der Hochbahn sind die OZ-Tags nicht zu übersehen bis an den Stadtrand hinaus und an den unmöglichsten Stellen. Den künstlerischen Wert diesen schlichten OZ mag man bezweifeln aber nicht seine ästhetisch-soziologische Dimension. Es gibt Hamburger die behaupten ohne OZ sähe Hamburg aus wie München.

 

Ich persönlich machte meine ersten Graffiti-Erfahrungen in Zürich mit Harald Nägeli, dem berühmten Sprayer von Zürich. Ich besuchte in den 70ern dort die Kunstgewerbeschule und fand seine Sachen, die ich zuerst in Bahnhofstrasse, Zürichs berühmten Bankenviertel sah eher dünn und komisch, obwohl er einer der ersten war, der rein ästhetische Zeichen sprayte, ohne Botschaft oder Mission oder erkennbare Absicht, also eigentlich reine Kunst. Noch persönlicher war meine Kunst-Ja-Nein-Erfahrung, die ich 30 Jahre später mit meinem jüngeren Bruder machen durfte, der sich mittlerweile in Berlin als Bad Boy mit Akademiediplom einen Namen gemacht hatte. Er besprüht dort Hauswände und Brücken, hängt Objekte in die Bäume des Stadtparks und zeigt seine Skizzen, Konzepte und Studioarbeiten in der eigenen Galerie.

 

Inzwischen wird Streetart im Gegensatz zu den meisten Graffitis ja von einem großen Teil der Bevölkerung als Kunst akzeptiert. Deswegen können auch hohe Preise erzielt werden. In Deutschland selbst tut sich der Kunsthandel allerdings noch ein bisschen schwer. So verkauft die auf Berliner Streetart spezialisierte West-Berlin-Gallery 80% ihrer Werke ins Ausland vor allem Skandinavien, Großbritannien in die USA und nach Frankreich. Topseller der Postgraffiti-Generation ist der weltberühmte britische Streetart-Künstler Banksy. Nachdem vermögende Kunstsammler auf die Idee kamen seine Stencils – Bilder in Schablonentechnik – von Restauratoren aus den Wänden zu montieren knallten die Preise für seine Stencils durch die Decke. Gleichzeitig aber offenbarte sich aber genau hier die fetischistische Gier des Kunstmarktes und der Sammler Banksys Intention eines öffentlichen, jedermann zugänglichen oder demokratischen Kunstwerkes noch dazu mit Arbeiten, die sich in ihrer Ironie nur durch ihr direktes, urbanes Umfeld erschließen lassen, wurde und wird durch das Entfernen aus dem urbanen Kontext nicht nur konterkariert sondern geradezu vernichtet.

 

Uns sind also die Transferprobleme dieser kulturellen Codes und ihrer kontextuellen Bedingungen oder einfacher: „wie krieg ich die Kunst von der Strasse“ – sehr bewusst und wir sind froh, dass wir in dieser Ausstellung „rural art“ beides annährend ermöglichen konnten. Die Studio – Schau in der Galerie mit den experimentellen Konzepten, Skizzen, Skulpturen und Installationen und Dokumentationen und quasi „offspace“ im authentischeren Raum die großformatigen Arbeiten im Alueda-Gebäude und der großen Hauswand im Hinterhof unserer Galerie.

 

Jetzt aber zurück zu den Künstlern. Wie schon ich schon anfangs erwähnte beginnt die Schau mit der schönen und für mich sehr erhellenden Skizzenwand von ABCDEF. Der aus der Nähe von Stuttgart stammende Künstler und graduierte Städteplaner ist der Zeichner unter unseren drei Akteuren, verzichtet im Gegensatz zum sogenannten “Wildstyle“ weitgehend auf Farbigkeit und verschlungene Figuration, sondern reduziert im Gegenteil auf schwarzweiße und rote Zeichen, kombinierte Signete, Logos, Piktogramme, fragmentierte Schriftzeichen und verdichtet am Ende alles zu einem Allover graphischer Strukturen. Die Entwicklung dieses Vokabulars an Formen und Zeichen kann man sehr gut anhand seiner vielen Skizzenblätter und insbesondere auch seiner Skizzenbücher im 1. Stock nachvollziehen. 100te von kryptischen Zeichen, mit fast wissenschaftlicher Akribie aneinandergereiht ergeben so etwas wie ein Alphabet. Michael erläuterte mir, dass er diese Formensprache in seinen schnellen großformatig angelegten Pieces verwendet. Diese Vorarbeit, bzw. diese verinnerlichte Formensprache ermöglicht es ihm schnell und intuitiv meterlange Wände in kürzester Zeit zu gestalten, wie wir uns in den Räumen des Aluedagebäudes überzeugen konnten. Als ich die Arbeit dann in den riesigen Räumen des Aluedagebäudes sah, erschien sie mir, wie die Hyroglyphen einer globalen Postpostmoderne, wie ein futuristisches Pharaonengrab, eine ebenso in die Zukunft, wie in eine mythische Vergangenheit weisende Ästhetik und alles was da noch an Fragen über die Begrifflichkeit von Street- oder Urbanart erschien mir am Ende akademisch.

 

Das war, was das ich wollte. Die Emanzipierung einer Kunstform aus ihrem Gattungsghetto. Bereit seit Jahren brechen die Künstler aus den Ihnen zugedachten Kunsträumen aus. Und landen dabei auf der Strasse. Streetart ist zu einem Sammelbegriff für ein buntes Spektrum an Eingriffen im öffentlichen Raum geworden, die mit dem Graffiti der 70er Jahre nicht mehr viel gemein hat. Die neue Generation hat sich zudem vom Medium Wand emanzipiert. So erweiterte sich das Spektrum auf Skulpturen und temporäre Eingriffe in den Stadtraum wie das „urban gardening“ oder „urban nitting“, wie unserer Münchener Strickguerilla, die wir ja schon letztes Jahr in der Galerie hatten und unendlich vieles mehr.

 

Beispielhaft für diese Entwicklung sind die dreidimensionalen Arbeiten im Streetartkontext von Sebastian SDKARÖE Daschner mit seinen Objekten aus Stahl und vorgefundenem und bemaltem Glas. Der Name, sein Alias „SDKARÖE“ – ich konnte das nachschauen – besteht zunächst aus den Initialen seines bürgerlichen Namens, also SD Sebastian Daschner und dann KARÖE. Er sagt selbst dazu: „Das waren und sind immer noch schöne Buchstaben, die sinnvoll für meinen Stil angeordnet sind. Zusammen ergaben sie für mich zwar eigentlich keinen Sinn und waren dann letztlich sogar gewollt unsinnig, aber „Karøe“ ist seltsamerweise auch ein wichtiger Begriff in der urfinnischen Mystik“.

 

Ich erwähne das deswegen, weil dem Künstlernamen bzw. dem Pseudonym in der Streetart eine besondere Bedeutung zukommt. Der sogenannte Tag, – also die gesprühten Initialen gilt nämlich als die Urform des sich daraus entwickelnden Piece. Häufig als „Unterschrift“ unter gesprühten Bildern zu finden, gilt es aber auch in der jugendlichen Gang-Kultur als territoriale Markierung. In einem Gespräch mit Sebastian Daschner behauptete ich, ob diese Neigung zum Pseudonym nicht vielleicht auch die romantische, wie idealistische Idee des anonymen Künstlers, als Outlaw im Widerstand zu institutioneller und marktorientierter Kunst widerspiegele. „Namen sind nicht so wichtig, zuerst geht’s ja mal um Kunst“ bekam ich erstmal zurück. Augenzwinkernd bestätigte er mir aber dann, dass sein Pseudonym auf alle Fälle mal ein Spiel sei. Und ich glaube ihm jedes Wort – immerhin ist er gelernter Literaturwissenschaftler. Auch seine beiden freistehenden Kompositionen haben hier im Raum haben etwas Spielerisches.SDKARÖE zerlegt quasi den Bildraum in seine Einzelteile und überlässt es dem Betrachter seinen eigenen Standpunkt zu wählen, um diese Objekt entweder weiter zu zerlegen oder in die Ästhetik eines Tafelbildes zurückzuführen. Dabei benutzt er konsequent die durch Reduktion und Fragmentierung völlig aufgelösten Schriftzeichen der Streetart und entwickelt sie so zu einer Art geometrischer Abstraktion. Auch die Ausgewogenheit von Rhythmus und Balance ist ein wesentliches Kriterium seiner Arbeiten und nicht zuletzt ihre Materialhaftigkeit. Und jetzt zitiere ich mal aus dem Internet: „So kollagiert er gefundene Hölzer und alte Pappen, verwendet diese als Maluntergrund, arbeitet mit Pinsel, Sprühdosen, mit Schablonen, Farbroller, verarbeitet Acryl-, Lack-, Fassadenfarben und offenbart auch darin seine Wurzeln im Bereich der Street- und Urban Art.“ Ein ganz ausgezeichnetes und augenscheinliches Beispiel dafür ist sein extra für das Ganserhaus gefertigte Installation „Punktum und Linie“ in der man alle die eben beschriebenen Ingredienzien seiner Arbeit wie Rhythmus, Balance wiederfinden kann, seinen scharfen konzeptuellen Intellekt in der Wahl der Mittel und nicht zuletzt die Liebe zum Material und seiner Umgebung.

 

Und damit komme ich zu REALTWENTY, dessen Arbeiten zum großen Teil ebenfalls aus einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Material und ihrer Umweltbedingungen entstehen. Als immer wiederkehrendes Motiv benutzt er dabei ganz in der Tradition des Graffiti die Initialen seines Pseudonyms „REALTWENTY“, also RT. Man erkennt das nicht immer gleich aber die Formensprache seiner Bilder, Skulpturen, Objekte und Installationen lässt sich fast immer auf dieses schlichte RT zurückführen. Gleich hier hinter mir hängen zwei Beispiele dafür. So cool mir diese Initialen hier in ihrer distanzierten, duktusfreien Geometrie auch scheinen, so emotional ja fast romantisch empfinde ich den malerisch sensiblen Hintergrund auf dem sie liegen. Und damit ist er eigentlich ganz Maler – auch wenn er von der Strasse kommt. Im ersten Stock haut er uns dann allerdings ein Riesending auf die Galerie, ein wuchtiges, genietetes, platzgreifendes Metallobjekt quer durch den Raum, wie eine Barriere und fast, wie eine Metapher der unvermeidlichen und unübersehbar Graffiti-Tags im städtischen Raum. Ein wenig feinstofflicher wirken seine abstrakten Malereien. Als ich sie zum ersten mal sah, dachte ich unwillkürlich an die russische Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts aber auch an die geometrisch Abstraktion aus den sechziger Jahren. Die akkurat durch Abkleben erzeugten Farbfelder vermeiden jedes Zeichen ihrer Machart, geschweige denn so etwas wie Duktus oder persönliche Handschrift. In der Betrachtung seiner Bilder ertappte ich mich immer wieder dabei viel mehr in kunstgeschichtlichen Kategorien zu denken, als etwa an urbane Subkultur. Natürlich sah ich seine großformatigen Sachen im Internet und auch sein „Piece“ im Alueda-Gebäude, die mich sehr beeindruckten und alle von einem großen ästhetischen Reiz sind und viel sensibler und dabei weit weniger laut oder großspurig, als viele der riesigen, krachbunten Graffitis, die wir aus den Metropolen kennen. Eine weitere Variante seiner Ausdrucksmöglichkeiten zeigt REALTWENTY im Keller; eine, den halben Raum einnehmende Bodeninstallation aus Klebebändern, als ein großes komplexes und typisches RealTwenty – Motiv. Das Klebeband hat sich in der Streetart schon lange durchgesetzt. Seine Verwendung ist in der Szene nicht zuletzt das Ergebnis jahrzehntelanger Verfolgung der Sprayer. Klebeband hat als Material nicht nur eine gewisse Modernität und Ästhetik, man kann es einfach auch restlos wieder ablösen. Nicht zuletzt aber interessieren REALTWENTY jene Prozesse, die den Materialien ihr Patina verleihen, die Vergänglichkeit der Dinge und ihre spezifische Strukturen erzeugenden Oberflächen, die auch ein Teil der Faszination von Streetart ausmacht, eben dieses Aufeinandertreffen vergehender Strukturen, alten Mauerwerks oder rostigen Metalls mit Bildern und Schriftenzeichen einer modernen Zivilisation.

 

Und eben dieses Aufeinandertreffen ist jetzt gerade eben passiert …als ich diese Rede schrieb, gab es das Werk nämlich noch nicht…ich rede hier also ganz im Vertrauen darauf, dass ABCDEF das auch wirklich hingekriegt hat…nämlich die Gestaltung der Hauswand im Hinterhof unserer Galerie. Was ABCDEF da macht, oder gemacht hat würde man im Graffiti-Jargon wohl Bombing nennen: Das bedeutet schnelles, auf Quantität ausgelegtes, illegales Sprühen, auch Bezeichnung für ein wenig aufwändiges (meistens chrom-schwarz) Piece oder auch Quickpiece oder Throw-up. Bei uns allerdings mit zwei Einschränkungen oder Erweiterungen 1. wir konnten´s noch rechtzeitig legalisieren – dank Familie Seitz – und ich möchte hier ausdrücklich Herrn und Frau Seitz danken, die uns als Hausbesitzer die komplette Wand zur Verfügung gestellt haben und 2. ABCDEF legt es nicht nur auf Quantität an, sondern auf Qualität und der vermeintliche geringe Aufwand ist künstlerisches Konzept.

 

Wie ich schon eingangs erwähnte, ist es wirklich ein Glück, dass wir heute mit dieser Aktion nun beide Ebenen im Werk des Streetartkünstlers ABCDEF erleben können, das gleichzeitig auch beispielhaft für die Arbeit seiner Kollegen ist. Nämlich zum einen die uns hoffentlich bleibende großformatige Arbeit im architektonischen Kontext unseres Hinterhofes – oder wenn man so will Streetart im urbanen Umfeld – dazu gehört natürlich auch unsere Aktion im Alueda-Gebäude – und zum anderen die hier gezeigten, vielen Arbeiten aus den Ateliers der Künstler, ihre Objekte und Installationen, die vielen Skizzen und Skizzenbücher, die das spontane, schnelle und intuitive Abrufen dieser Zeichen- und Formensprache erst möglich machen.

 

So ist nicht nur bei ABCDEF das, was früher dazu diente schneller zu sein, als die Polizei, heute eine Mittel zur Abstraktion und die Arbeit im Atelier Ausdruck einer zutiefst künstlerischen Haltung, die sich mehr der Sache und dem Experiment verpflichtet fühlt, als einer schnellen Selbstverwirklichung im Stadtgebiet. Bezeichnend und charakteristisch für den Bildungshintergrund und die Befindlichkeit der modernen Postgraffiti-Generation, ihrer Ziele und Motive fand ich den auch die Aussage von Sebastian SDKARÖE Daschner: „Durch die Beschäftigung mit künstlerischen Diskursen der Moderne in meiner Magisterarbeit, kam dann das Interesse an Graffiti zurück. Seitdem versuche ich, das abzuarbeiten und möglichst viel Theorie wieder zu vergessen. Man kann sagen, ich versuche diesen „missing link“ zwischen Kunst und Graffiti zu finden.“ Und wenn es das wirklich gibt, dieses „Missing Link“ oder es je notwendig gewesen sein sollte, dann finden Sie es hier in dieser Ausstellung, in Rural Art

 

Stefan Scherer | 25.10.2014

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