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Caduta Sassi | Crepuscule

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Caduta Sassi – Crepuscule | 24.01.2015 – Galerie im Ganserhaus

 

Der Begriff „Crepuscule“ und Titel dieser Ausstellung beschreibt den Zustand des Zwielichts – und in dieser Ausstellung vor allem – als psychologische Qualität, als kaum greifbaren Übergang nämlich, der Dämmerung zwischen hellem Tag und tiefschwarzer Nacht. Und „Caduta Sassi“, – der Name unserer Künstlergruppe – ist nicht nur ein italienischer Gefahrenhinweis auf möglichen Steinschlag, sondern in der Münchener Kunstszene auch der Sammelbegriff für die Künstler und Künstlerinnen: Nada Jordan, Christine Lindenmüller, Ulrike Kaiser, Raphael Brunner, Sanni Findner und Hans Lindenmüller.

 

Unsere zwielichtige Veranstaltung geht auch gleich los mit Nada Jordans – schon von weit außerhalb der Galerie – sichtbaren Klebebandzeichnung hier auf dem Schaufenster des Ganserhauses. Zu Nada Jordans Arbeit bekam ich von Cadutta Sassi folgende Info: „Nada Jordan überzieht Teile der Scheiben mit farbigen Klebebändern, so dass in den Augen des Betrachters aus den Linien räumliche Gebilde entstehen, die an dicht gedrängte Häuser und enge Straßenschluchten erinnern. Es wird ein formaler Bezug zu der Architektur der umliegenden Häuser hergestellt, die sich – je nach Tageslicht und Beleuchtung der Innenräume – unterschiedlich in der Scheibe spiegeln. Das geklebte Bild auf dem Schaufenster setzt sich auf der dahinter liegenden Wand der Galerie fort, um dort eine Verbindung mit Zeichnungen auf Papier herzustellen. Das Schaufenster als Ort zwischen Draußen und Drinnen, bricht die Geschlossenheit der Fassade zum Fußgänger hin auf.“ Nada erzählte mir, dass sie sich in ihrer Arbeit ganz explizit auf die Schmidzeile bezog und ihren – im Verhältnis zur Enge der Strasse – hohen Gebäuden, die damit eine fast urbane Straßenschlucht darstellen. Als ich dann letzte Woche mal ganz unvorbereitet und in Gedanken die Schmidzeile herunterging und quasi in den Augenwinkeln das Fenster des Ganserhauses und gleichzeitig das Schaufenster des gegenüberliegenden Bekleidungsgeschäftes wahrnahm bemerkte ich, wie verwandt mir die Ästhetik dieser beiden Fenster schien, die aber bei näherem Hinsehen überhaupt nichts gemein haben. Es war die reine Gewohnheit, das Schaufenster eben Werbeträger sind, die mich das so wahrnehmen ließ. Das Geschenk aber, dass wir so gesehen von Nada Jordan bekommen ist die Umdeutung dieser Gewohnheit, die Verwandlung dieser transparenten, spiegelnden Flächen in einen absichtslosen, surrealen Raum, einen Ort zwischen Drinnen und Draußen und so ambivalent und poetisch, wie die Abenddämmerung, oder eben das Crepuscule.

 

Ähnlich ambivalent und rätselhaft-zweideutig inszeniert Christine Lindenmüller ihre Fotografien. In Ihrem Pressetext fand ich dazu folgendes: „In der fotografischen Bildreihe „Ansichten“ zeigt Christine Lindenmüller Orte, die Spuren einer Handlung tragen. Die Künstlerin fertigt Vordergründe aus Papier oder Garn, oder bespielt die Landschaft mit linearen Installationen“ , wie in ihrer Arbeit „Ansicht Partnachklam“, die auf witzige Art – und irgendwie ironisch verkünstelt – weiße Eiszapfen verfremdet – aber auch in Ihrer Fotografie „Ansicht Hörwart“ in der sie die Zentralperspektive als Objekt erscheinen lässt. „Dazu montiert Christine Lindenmüller ihre sogenannten „poetischen Fragmente“, wie Schnee, Rinde, fallendes Wasser, Laub und Rauch in die sichtbare Realität. Linienskulpturen aus Draht, Stoff oder Holz korrespondieren mit Landformationen und fügen sich als organischer oder anorganischer Bestand in das Bild hinein. Sie sind Referenten für etwas Menschliches“, sagt die Künstlerin in ihrem Text. „Ihr Interesse an der Versenkung in die Natur bildet sich auch in der bewusst gewählten Arbeitstechnik der Künstlerin ab, dem langsamen Prozess der analogen Fotografie mit Mittelformatkamera.“ Und nicht zuletzt „erinnern ihre künstlerischen Konzepte an Bildkonstrukte des Surrealismus.“ mit denen sie diese sichtbare Realität in eine irritierend – theatralische und verfremdete Wirklichkeit überführt.

 

Im darauf folgenden Raum treffen wir auf die Licht- und Videoinstallationen von Ulrike Kaiser. „Ulrike Kaiser setzt sich im weitesten Sinne mit Naturphänomenen auseinander“, schreibt Caduta Sassi im Pressetext und weiter: „Eigens für die Räume in Wasserburg hat die Künstlerin ein Pendel installiert, das über einer Schale, aus der das Universum zu quellen scheint, seine Spuren zieht. Auf einer daneben liegenden Erdhalbkugel leuchten Sand-Trickfilme, die Spuren des Menschen auf dem Planeten zeigen.“ Genauer betrachtet spielen sich auf diesen Halbkugeln seltsame Dinge ab. Auf der ersten quilt oder vibriert eine sandige, nicht fassbar Substanz stoisch vor sich hin, als könne sie nichts daran hindern. Und bleibt man bei der Planeten- und Weltraum-Metapher, ergibt sich auch gleich die Assoziation des „Sandkorns in der Wüste“, des „Tropfens im Ocean“ oder der unzähligen Planeten in einem unaufhaltsam sich ausdehnenden Weltall. Auf der anderen Halbkugel erscheint dagegen ein unablässiges „Werden und Vergehen“. Wie Sandburgen erscheinen Gebäude, die fortwährend in ihrer sandigen Ursubstanz versinken und auferstehen. Eine große kreisförmige Wandinstallation in Form einer Kollage zentriert den Raum. Es sind – fast wie eine Sonne gestaltet – kreisförmig angeordnet und mit Fotoemulsion beschichtete Sandpapiere. Auf den Sandpapieren selbst sind Hautstrukturen zu erkennen. Die Doppeldeutigkeit von Haut und Planetenoberfläche dieser Wandinstallation bezeichnet Ulrike Kaiser als ein „Verschmelzen von Mikro und Makro“…und hoch oben auf unserem Galeriefenster, beschließt Ulrike Kaiser ihr planetarisches Enviroment mit der Projektion eines durch die Unendlichkeit kreisenden Sternbilds in Menschengestalt.

 

Nach dem so geheimnisvoll-dunklen, wie atmosphärisch dichten Kosmos Ulrike Kaisers öffnet sich der erfrischend helle Malsaal Raphael Brunners. Er hat mir zu seiner Arbeit einen ganz wunderbaren Text an die Hand gegeben: „In meinen Bildern sehen sich Figuren Situationen gegenüber, die Chance und Gefahr zugleich sein können. Dabei ist nie ganz sicher, ob man als Betrachter einem Traum beiwohnt, oder mit realen Erfahrungen konfrontiert wird, die in die Sprache symbolhafter Archetypen bildnerisch übersetzt werden. Ein Schiff, eine Reise, Wasser, Wellen. Eine Sprechblase schiebt sich vor die Sonne und verdunkelt diese. Total eclipse… Dabei werden von mir bewusst Zustände der Ambivalenz gesucht. Ambivalenz bedeutet eben auch, dass scheinbar Widersprüchliches in ein und derselben Situation diese vielleicht erst besonders macht, wenn auch nicht ganz fassbar. Ornamentik und Formen des Schmucks, die an Miniaturmalerei vergangener Kulturen erinnern, veredeln die Posen der Figuren und frieren sie gleichzeitig ironisch überhöhend ein. In der Arbeit „Neumond“ lässt sich entdecken, dass die Zeit dafür verantwortlich sein kann, wenn Leben zum Muster wird. Das Bild „Der erhängte Bär“ stammt aus dem Bildhintergrund einer großformatigen Christopherus-Darstellung von Hieronymus Bosch. Ein unerklärliches Randgeschehen findet durch die Zentrierung zu neuer Aufmerksamkeit und versucht dadurch die Eindeutigkeit von Haupt- und Nebenschauplätzen zu hinterfragen. Thematisch in diese Richtung gehen auch die Bilder, die vermeintliche Verstecke sichtbar machen.“

 

Mich als Maler faszinierte vor allem die gelassene Akribie und die unaufgeregte Schlichtheit mit der Raphael Brunner seine Bilder zu gestalten scheint, die – ganz im Sinne des „Crepuscule“, dieser Doppeldeutigkeit und Ambivalenz – eine große Ernsthaftigkeit ausstrahlen aber gleichzeitig zum totlachen sind.

 

Ein paar Schritte weiter im Durchgangsraum installierten die Caduta Sassi – Künstler eine Art Skizzenwand mit Zeichnungen von Hans und Christine Lindenmüller, Nada Jordan und Sanni Findner. Wenn man sich ein wenig länger damit beschäftigt, lässt sich die Auffassung oder künstlerische Haltung erspüren, die ihren größeren Arbeiten zu Grunde liegt. Wie ein kühler Gegensatz zu den Handzeichnung hängt gegenüber das Objekt „System II“ aus Glas, Karton und Holz von Sanni Findner.

 

Caduta Sassi hatte sich beim Ausstellungsbau auf die Fahnen geschrieben die Kleinteiligkeit des Ganserhauses in einen Helldunkelrhythmus zu tauchen, deshalb begegnen wir im nächsten Raum wieder einer Videoprojektion von Ulrike Kaiser. Sie spiegelt dort per Video die Fensterfront diese Raumes auf die gegenüberliegende Wand und lässt in den projizierten Fenstern die Abenddämmerung als Endlosschleife auf und abtauchen. Wenn man so will setzt sie damit die Gezeiten außer Kraft und bricht mit der Gewohnheit einer gewohnten Ordnung indem sie die Wirklichkeit des Videos unserer tatsächlichen Tageslichtrealität gegenüberstellt.

 

Auch Sanni Findner spielt im nächsten Raum mit Unwägbarkeiten und Balancen, allerdings sehr ordentlich und mit großer Präzision. In caduta sassis Texten über die Arbeit Sanni Findners findet man folgende Beschreibung: „Sanni Findner verfolgt in ihren Arbeiten die Ausdehnung linearer Formen und Strukturen in den Raum. Dabei interessieren sie neben der Linie als charakteristisches, einen Gegenstand oder Gedanken bezeichnendes Mittel, die einer Zeichnung typischen Aussparungen, Zwischenräume und Leerstellen. Immaterialität, Fragment, Unscheinbarkeit sind wiederkehrende Motive ihrer Werke aus unterschiedlichen Materialien. In Objekten und Installationen sucht sie Schwebezustände zwischen Erzählerischem und Konkretem – Dinglichem und Losgelöstem.“ Wir hatten schon mal etwas Ähnliches in der Galerie. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere an Florian Lechners Raumzeichnungen, in der er mit Kartons, Brettern und großen Armierungsgittern die Räume definierte. Viel zarter aber nicht weniger poetisch raumzeichnet Sanni Findner. Die auf dem Boden liegenden Bretter und Gläser und an die Wand gelehnten Objekte entwickeln ihre Poesie nicht nur durch ihr komplementäres Material, wie Holz und Glas sondern, – wie ich meine – ganz besonders in ihrer Distanz zueinander. Denn gerade in ihren Abständen und Zwischenräumen entfaltet sich die Erzählung dieser Arbeiten.

 

Und schließlich kommen wir zu Hans Lindenmüller, der unser Kellergewölbe bespielt. Seiner ersten Arbeit begegnen wir zunächst im Treppenabgang in Form einer Tropfsteinhöhlen – Miniatur. Cave, heißt das Werk und zeigt als kubenförmiges Keramikobjekt, die bizarre Formensprache einer Tropfsteinhöhle. Im Kellergewölbe selbst installierte Lindenmüller seine Objekte „Stormtree“, ein kleines sich hin und herbewegendes Bäumchen, – wie ein kinetisches Spielzeug und so rührend wie geheimnisvoll – und die Arbeit „Geotop“, eine Art Minivulkan der – ähnlich einer Mondlandschaft – eine Oberfläche vulkanischer Krater darstellt, aus denen geheimnisvoller Nebel aufsteigt. Die Idee zu Stormtree erläutert Lindenmüller in seinem Text zunächst mit einer der Frage: „Wie stellt man Naturphänomene nach?“ Und antwortet: „In diesem Fall mit einem einsamen, vom stürmischen Wind gebogenen und geschüttelten Baum.“ Schlichter kann man das nicht beschreiben… aber eben darin liegt auch der ganze Humor, der sich ähnlich wie bei Fischli und Weiss oder den Chapman Brüdern mit Witz und Ironie auch gegen den überinterpretierten Kunstfetisch wendet. Die Experimentalfilmerin Evelyn Rüsseler hat Lindenmüllers verspieltes, wie geheimnisvolles Werk in folgender Erklärung gegossen: „Einmal liegt es auf der Ebene der Technik und Präzision. Der überaus größere Teil aber lässt sich durch Humor und Atmosphäre erklären. Die Mikrowelten von Hans Lindenmüller bergen eine gewisse Romantik, sind sie doch gebaut wie kleine „Take-Around-Realities“

 

Wenn sie jetzt immer noch nicht genau wissen sollten wer oder was cadutta sassi ist, gebe ich ihnen gerne noch eine Art Verfassung oder Grundgesetz dieser Künstlergruppe mit auf den Weg in die Ausstellung: „Caduta Sassi ist ein Kollektiv frei von starren Manifesten beziehungsweise reich an Antworten auf die Frage „Was ist Caduta Sassi?“ Das Produkt Kunst steht bei den Veranstaltungen nie im Vordergrund, vielmehr zielt die Arbeit Caduta Sassis stets auf eine Veränderung von Wahrnehmung, das Postulieren einer Haltung und die Vielfältigkeit einer Äußerung: einmal wird die Galerie zum riesigen Leuchtkasten für Tausende von Kleinbilddias, ein andermal bietet sie Schutz für die Distelgewächse der Brachen des Stadtrandes. Damit nicht Einzelne die Hauptverantwortung zu tragen haben und trotz des Mitwirkens am gemeinsamen Programm eine eigene künstlerische Arbeit verfolgen können, werden immer verschiedene Teams gebildet, die sich für ein bestimmtes Projekt zusammenfinden. Auf diese Arbeitsweise ist auch die Kontinuität der Präsenz Caduta Sassis zurückzuführen.“

 

Und dieses auserwählte Team führt uns heute und in den nächsten vier Wochen in seiner, wie ich finde umwerfenden Show „Crepuscule“, – einem Korso des Zwielichts, der Ambivalenzen und Doppeldeutigkeiten – ganz wunderbar vor, wie stringent, poetisch und humorvoll man sich diesen schlecht beleuchteten, dämmrig und träumerischen Zwischenräumen nähern kann, nämlich als Grenzerfahrung, wie bei Nada Jordan und ihren osmotischen Fensterzeichnungen, in den fast respektlosen Landschaftsumdeutungen Christine Lindenmüllers, oder mit Ulrike Kaisers Mikro-Makro-Begegnungen in einem sich auflösenden Weltall, mit Raphael Brunners ambivalenter, widersprüchlicher und so humoresker Situationsmalerei, Sanni Finders Schwebezuständen zwischen Erzählerischem und Konkretem und nicht zuletzt mit Hans Lindenmüllers so witzigen, wie rätselhaften Miniaturmodellen und ihrem atmosphärischen Humor.

 

Stefan Scherer | 24.01.2015

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