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Wolfgang L. Diller, Annegret Bleisteiner, Friederike & Uwe | Lost Images

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Diller, Bleisteiner, Friederike & Uwe – Lost Images | Galerie im Ganserhaus 23.04.2016

 

Lost Images; was kann das bedeuten, verlorene Bilder, abhanden gekommene Vorstellungen oder etwa der Verlust des Gesamteindruckes, den eine Mehrzahl von Menschen von einem Meinungsgegenstand haben, dem „Image“ also? Oder mal runtergebrochen auf den Erlebnischarakter einer traditionellen Kunstausstellung vielleicht der Schock erstmal keine Meinung zu haben, ratlos zu sein oder der Verlust der persönlichen Deutungshoheit angesichts eines hochherrschaftlich etablierten Bildersturms in einschüchternder Architektur. Dabei liefern wir uns tagtäglich und weit selbstbewusster in Chaträumen, den Social Media, PC-Spielen, Onlinegames und ihren virtuellen Welten einem Tsunami an Bildern und Informationen aus, ohne im Geringsten an unserer Urteilsfähigkeit zu zweifeln. Und wir lassen es geschehen, dass sich in unserem Inneren Bilder- und Erinnerungsfetzen breitmachen, die hinterrücks die Gemengelage unserer Gefühle aufmischen. Ohne ein Verschwörungstheoretiker zu sein ist es vorstellbar, dass sich in dieser, bewusst nicht mehr zu bewältigen Menge an Eindrücken, virulente Botschaften befinden, die uns beeinflussen, um nicht zu sagen infizieren.
Wolfgang L. Diller, Annegret Bleisteiner und das Künstlerpaar Friederike & Uwe unternehmen nun den Versuch einen Tropfen aus diesem Ozean der Aussagen und Inhalte herauszudestillieren, makro- und mikroskopisch zu analysieren, als ein uferloses, ästhetisches und soziales Phänomen in Bildern, Objekten, Medienskulpturen und Installationen und das alles weit witziger und spielerischer, als ich das hier sprachlich darstellen könnte.
Das geht auch gleich los mit der großformatigen Malerei, einer ätzenden Riesenpersiflage von Wolfgang Diller im Eingangsbereich. Sie zeigt passend zum Ort Ihrer Hängung die Szenerie einer Vernissage. Die Figuren gestikulieren oder inszenieren sich, tanzen und sind im Ganzen vor allem mit sich selbst beschäftigt. Von diesen ca. fünfzig Gestalten schauen dann, wenn man nachzählt auch tatsächlich nur drei auf den Anlass dieses Geschehens, nämlich die Bilder im Hintergrund der dargestellten Ausstellung. Am unteren Rand des Gemäldes malt Wolfgang Diller dazu die Textfenster eines Onlinechats, das in seiner unterirdischen Sprache in etwa soviel Erlebnischarakter hat, wie die darüber dargestellte Vernissage.

 

Alles zusammengenommen verweist diese Malerei, die durch ihre kristallinen Formen so einen seltsamen kubistischen Charakter hat, nicht nur inhaltlich auf die virtuellen 3D Welten, wie Second Life, sondern auch formal auf ihre visuellen Gestaltungsmittel, wie das Low-Polygon, ein geometrisches Vieleck aus dem am Anfang des Jahrtausends diese virtuellen Welten gebaut wurden.

 

Wolfgang L. Diller ist gelernter Kunshistoriker und Videokünstler der ersten Stunde. Erste Stunde, das waren die Achtziger und wer von ihnen damals schon bewusst an der Medienwelt teilnehmen konnte, erinnert sich bestimmt an die abendliche, besinnlich-meditative Sendung des bayrischen Fernsehens Z.E.N, „Zuschauen Entspannen Nachdenken“ mit entspannenden Landschaftsbildern und meist anspruchsvollen, literarischen Texten. Wolfgang Diller macht aus dem Fernseher ein schwebendes Klohäuschen, also auch ein Ort der Meditation und nennt in Anlehnung an diese Sendung seine Medien-Installation ebenfalls Z.E.N. nur jetzt in der Bedeutung von „Zuhauen, Enthaupten, Nachtreten“. Das lässt schon erahnen, welche Sorte von Entspannungsfilmchen auf dem dort installierten Hartware-Kitsch, wie Diller seine, IPads und Minibeamer nennt zu sehen sind.

 

Im ersten Stock auf der Galerie gibt’s dann noch mal Diller-Malerei satt. Man steht in einem Kosmos krachbunter, raumsprengender Malerei. Eigentlich zu wenig Luft, kein Atem oder zu wenig Platz für diese drastische Farbigkeit. Frederike vom Künstlerduo Friederike & Uwe, die schon öfter mit Wolfgang L. Diller ausstellte erklärte dazu sehr schlüssig, dass diese dichte Hängung, die sich so durch die ganze Ausstellung zieht in ihren gemeinsamen Ausstellungen Methode ist. Diese Überfüllung reflektiere die schnelle dichte Folge von Bildern, wie wir sie im Internet zu sehen bekommen und ist somit eine Metapher für die Atemlosigkeit dieser monströsen, schnellen Bilderfolge in den neuen Medien.

 

Im folgenden Raum ist sie Wolfgang Dillers auf eine bestimmte Weise theatralisch inszenierte Videowelt „Dynamic Mix 2000“ zu sehen. Die besteht zunächst einmal aus einer klassischen Spielekonsole, wie sie in Spielhallen zu finden ist und einer wandgroßen Projektionsfläche, die rechts und links von ebenfalls wandgroßen Papierarbeiten ergänzt wird. Da die ganze Technik und ihre Inszenierung sehr komplex ist, leihe ich mir hier gerne die Beschreibung auf seiner Webseite: „In Dynamic Mix 2000 ist die auf direkteste Weise verwirklichte Verwebung traditioneller und innovativer Medien Das Leveldesign dieser Kunstwelt besteht wiederum aus der eigenen Kunstproduktion der 80er Jahre – hier Comics und Copy/Art. einfachste schwarzweiß Grafiken, sind die Texturen für sämtliche Oberflächen von Dynamic Mix 2000.“ Wolfgang Diller meint damit u.a. die an der Wand installierten, großformatigen Papierarbeiten, die wie Kulissen funktionieren und auch im Video verwand werden. Dies ist natürlich ein klares Statement zu den Nachahmungszwängen des kommerziellen Gamedesigns und eine Absage an den dort vorherrschenden Abbildrealismus.Prinzipiell handelt es sich bei diesem Spiel um ein uraltes Demo aus den 90ern, welches umgearbeitet wurde, indem die Programmierung ebenso wie Modelle und Töne verändert wurden. Und selbstverständlich hat das Spiel eine Auflösung. Im übrigen werden keinerlei Erwartungen an ein kommerzielles Spiel erfüllt, denn schließlich ist das hier voller „K”, also z. B. Kunst“

 

Im nächsten Raum montierte Wolfgang Diller seine Videoinstallation „Sick And Bored Of Being Sick And Bored“. Also, krank und gelangweilt vom Krank- und Gelangweiltsein und wie der Titel schon andeutet, ist diese Videoinstallation eine Art flackernde Endlosschleife. Wolfgang L. Diller selbst sagt dazu: „Als nonlineares Video hat „Sick And Bored Of Being Sick And Bored“ kein Ende, ist also unendlich, als Work in Progress angelegt“ Und er erklärt weiter: „In diesem Video werden ästhetische Prinzipien der Malerei und der Installationen des Medienrealismus der 80er auf das Medium Bewegtbild übertragen. Statt Malerei abzufilmen und zu animieren, wird das Videomaterial mit “elektronischen” Techniken “malerisch” bearbeitet. Vorgefundene Videos werden dabei mit  eigenen Videoaufnahmen gemischt. Die verwendeten “Filmschnipsel” entstammen zumeist Filmen der 50/60er von Antonioni & Godard, auch Kluge, Fassbinder u.a. . Am Ende des Compositings steht eine ästhetisch-homogene Einheit.“ Als kleine Pointe dieser Installation, die auch mit den Mitteln der Appropiation-Art, dem konzeptuell-strategischen Kopieren anderer Kunstwerke spielt. darf der Betrachter als Bestandteil und in Echtzeit dieser Videoinstallation auf einem der kleinen Monitore teilnehmen.

 

Zu guter letzt geht Wolfgang Diller in den Untergrund, in unseren Keller und seine virtuelle 3D-Welt „Ancient City“; eine Art Ruinenstätte aus der Zeit der Schwarzweissbilder; über die im Zeitraffer auf zwei großen Projektionsflächen unaufhörlich Wolken über den grauen Himmel ziehen. Die Bilderwelt von „Ancient City“ zeigt Standbilder und Videos aus den sechziger Jahren, Bürgerrechtsbewegungen, Studentenunruhen etc. Filmische Basis sind Wochenschauausschnitte, die mit chimärenhaften Bildausschnitten immer wieder die Atmosphäre durchbrechen, aufsteigen und vergehen. Jeder Besucher kann teilhaben, die Steuerung übernehmen und bestimmen, wohin das Erleben dieser Kunstwelt führt, beschreibt Wolfgang Diller diese 3D-Welt, die wiederum nur ein Teil seines Medienkunstprojekts „Videocities“ darstellt. Mich führte sie jedenfalls in die absurden, multimedialen Inszenierungen des Wolfgang Diller, die mich so in Anspruch nahmen, dass ich mich am Ende, als ebenso erfrischten, wie verstörten Teil eines multimedialen Scherzes in einem todernsten Kunstwerk wiederfand.

 

Ähnlich am Rande der Ironie und des strategischen Humors balanciert, das Künstlerpaar Frederike & Uwe. Frederike und Uwe, das sind Friederike Dopheide und Uwe Wulz, die als deutsches Künstlerpaar seit 1994 unter dem Label „Friederike & Uwe“ arbeiten. „Sie setzen sich in ihren Werken primär mit Kitsch, Konsum und Medien auseinander und konzentrieren sich dabei auf die Bereiche Gestaltung von Bildobjekten, Performance und Video-Kunst. Sie persiflieren dabei nicht nur ihre Themen, sondern häufig auch sich selbst. Bei ihren Pixelbildern nutzen sie häufig die verfremdende Wirkung von Ministeck-Mosaiken.“
Diese Ministeck-Bilder hier im Erdgeschoss beziehen ihre Motive vor allem aus Videospielen und sind von gnadenloser Farbigkeit. Und wenn ich noch am Anfang geneigt war soetwas, wie ein pointilistisches Rauschen zu unterstellen, erschienen mir am Ende diese Bilder doch als kalte, aseptische Oberflächen aus in Plastik gegossenen Pixeln. Ganz unübersehbar verlieren diese Plastik-Mosaike aber nicht ihren Bezug zur Malerei. In ihrem Mikrokosmos wirken diese winzigen Plastikteilchen, wie Pinselstriche oder tausend Linien einer komplexen Zeichnung und ich fing schon an zu spekulieren, ob ein klassisches Gemälde dieser Größe wohl mehr Pinselstriche als Mosaiksteinchen benötigen würde. Gleichzeitig reflektiert diese Technik den Waren-Charakter und vielleicht sogar den wahren Charakter zeitgenössischer Kunst. Denn diese Ministeck-Technik ließe sich ja kinderleicht wiederholen und massenhaft reproduzieren – übrigens ein Kitschmerkmal – und stellt damit alles in Frage, was wir als Kunstkriterien so zur Verfügung haben, wie z.B. Authentizität, Originalität und Innovation. Genialität ist mit dem Ende der Postmoderne schon kassiert.

 

Im Gespräch mit Friederike bekam ich dann auch einen kleinen Einblick in die konsumkritische Haltung des Künstlerpaares. So postuliert Frederike Kunst nicht nur als Ware einer westlich-kapitalistischen Bewusstseinsindustrie, sondern nach Walter Benjamin als „Ware durch und durch“. Die Profanität ihrer künstlerischen Mittel demonstrieren Friederike & Uwe dann auch gleich in ihren aus Putzschwämmen gerasterten Putzfrauenporträts mit einem, diese Serie pointierenden Eimer-und-Wischmob-Objekt aus demselben Material.

 

Im ersten Stock steigern Frederike und Uwe ihre Neigung zu Kitsch und Persiflage schließlich in eine vielteiliges, die ganze Wand beherrschendes Allover von Kunststoffmosaiken Ausgehend vom Konzept des wenigstens in meiner Generation jedem bekannten Kinderspiels „Memory“, klappen Uwe und Frederike ihre kleinen, neben, unter- und übereinandergelegten Ministeckbilder dort in die Museumsperspektive. Dabei benutzen sie das Wort „Memory“ in doppelter Bedeutung, also nicht nur als Spielbezeichnung, sondern auch als tatsächliche Erinnerungen ihrer Generation. Die Bildmotive bestehen nämlich zum größten Teil aus nicht mehr vorhanden Zeichen, Spielen und Sendungen, wie, z.B. dem ehemaligen Testbild des deutschen Fernsehns, frühen PC-Spielen, wie Supermario und nicht zuletzt persönlichen Erinnerungen. Und auch die Hängung selbst stellt auch ohne den Hinweis auf das adaptierte Spiel nochmal ein Charakteristikum im Werk von Frederike & Uwe dar. Die serielle Produktion, das quasi massenhafte Auftreten ihrer Werke, ihre Reproduzierbarkeit und nicht zuletzt die Verwendung des Klischees als Motiv, verweist zwischen Kitsch und Trash auf Kunst, als Teil einer unüberschaubaren, medial-gesteuerten Warenwelt.

 

Einen Ausflug in die scheinbar nicht zu bändigende Materialschwemme dieser ausufernden Warenwelt bietet uns auch Annegret Bleisteiner in ihrer, sich über zwei Stockwerke ausbreitenden Installation „Wonderful World“: Annegret Bleisteiner, die u.a. bei Konrad Klappheck und Rosemarie Trockel studiert hat inszeniert hier einen Plastikstrom aus Haushaltswaren, Kinderspielzeug und Gebrauchsgegenständen, der sich von unsere Galerie, wie ein Wasserfall in bunten Plasikströmen herabstürzt und unten angekommen kräuselnd unseren Plastikalltag produziert Im Gespräch mit Annegret Bleitsteiner erklärte sie mir dann auch, welche Bedeutung diese Plastikorgie für sie hat, bzw. ihre persönliche Beziehung zwischen Nützlichkeit und Schädlichkeit zu diesem Material. So ist diese Installation nicht nur ein Metapher für ihren Alltag zwischen Kindern, Haushalt und Atelier, der diese Kunststoffflut produziert, sondern auch der Werkstoff aus dem sich fast alles Nützliche herstellen lässt, der aber gleichzeitig ganze Landstriche und Ozeane verseucht. „Wonderful World“ ist so gesehen das Gleichnis eines Stroms von Ambivalenzen, eines ständigen Entscheidungskonflikts der in Waren und Bildern unaufhörlich auf uns niederprasselt.

 

Im ganzen Haus verteilt und unverkennbar in ihrer farblichen Verwandtschaft zu dieser Installation, hängen die Malereien von Annegret Bleisteiner. Heiter, frisch, bunt bis knallig und radikal unbemüht. Wir unterhielten uns darüber und Annegret Bleisteiner erzählte ein bisschen über ihre Phasen der Malerei, auch über ihre graue und Schwarzweiss-Perioden. Und schließlich auch die Geschichte über die Aufarbeitung der leidvollen Vergangenheit ihrer Grosseltern im düsteren Nazideutschland und ihrem Entschluss quasi komplementär dazu Bilder voller Licht und Farbe zu malen und das so leicht, selbstverständlich und bedenkenlos, dass es jede Kategorisierung überflüssig macht.

 

Fast am Ende des Ausstellungsrundgangs montiert Annegret Bleisteiner ihre Installation Samba. Ich konnte nicht mehr ganz ergründen, was der Titel bedeutet. Rein visuell aber erscheint mir die Installation, wie der Tanz, quadratischer, Stickbilder um einen Monitor auf dem u.a eine verwesende, von Kaulquappen angefressene Maus zu sehen ist. Annegret Bleisteiner beschreibt diese Stickbilder als Gefühle auf Stoff und zu dem Video verwies sie mich auf die Fabel „Katze und Maus“ von Franz Kafka. „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, daß ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, daß ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, daß ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.“ „Du mußt nur die Laufrichtung ändern“, sagte die Katze und fraß sie.
Für diese Fabel bin ich Annegret sehr dankbar, weil sich die kafkaeske Situation, die in dieser Fabel beschrieben wird in gewissem Maße auf die ganze Ausstellung übertragen lässt. Denn auch wir, eingesponnen in unsere Ängste und Zwänge, lassen uns zu gerne verleiten zur Flucht vor der realen Welt in das “second life”, in den Eskapismus den Wolfgang L. Diller uns so humoresk und ironisch vor Augen hält, oder wie Annegret Bleisteiners Kosmos des Konsums und seiner Plastikströme, und nicht zuletzt, Friederikes & Uwes Universum des Kitsch und Klischees,…denn am Ende wartet immer die Katze.

 

Stefan Scherer | 23.04.2016

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