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Eva Ruhland | Partitur der Unruhe

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Eva Ruhland – Partitur der Unruhe | Galerie im Ganserhaus | 06.03.2011

 

„Partitur der Unruhe“ nennt die Medienkünstlerin Eva Ruhland ihre Schau im Ganserhaus und auch eine Retro-Perspektive, weil ihre Ausstellung nicht nur ihre künstlerische Arbeit der letzten zehn Jahre repräsentiert, sondern auch auf ihren 50-ten Geburtstag fällt und der ist ihr in dieser Schau sozusagen eine retrospektive Inspiration. Das ist aber nur ein Blickpunkt genauso gut kann man/frau sich auf der Hacke drehen und sich offenen Auges vorwärts treiben lassen in Eva Ruhlands Welt der beunruhigenden Bilder und Objekte.

 

Die Ouvertüre dieser Partitur – im Eingangsbereich der Galerie – ist eine Art Fetischgarderobe oder Trophäenkollektion und ich bin da noch ein bisschen getrieben von persönlichen Vorstellungsinhalten. Sie selber nennt diese Installation schlicht „Waffentaschen“. Diese Waffentaschen sind überdimensionale, modische Outfits für Revolver und Granaten, ein Streifenetui für die Bazooka und Samttäschchen für Ninjas, und in ihrer Masse, wie eine Prêt à Porter für Waffengänger. „Der Terrorismus kommt in Mode“ flog mir durch den Kopf. Als ein „ready to wear“ der Gewaltbereitschaft in Samt und Seide, mit Kunstfell und Blümchenmuster getarnt, so verharmlost und profanisiert wirken Ruhlands Waffentaschen und eben dadurch so subversiv. Zugleich aber sind diese Taschen ihrem Stile nach und in ihren Variationen ganz offensichtlich weibliche Hüllen für etwas definitiv Männliches in all seinen Konnotationen. Eine Art Einverleibung findet statt …und zwar, wie ich finde mit allem, was wir vom weiblichen und männlichen darüber wissen.

Aber „schön Vorsicht“ mit Sexpsychologie, sie legt sich sonst zu sehr über den wunderbaren Witz und die Ironie der Sache und deshalb es ist gut und günstig uns gleich hier – da wo ich gerade stehe und allein schon vom Titel her – mit Ruhlands nächster Installation:“ Objektivierungen“ zu beschäftigen. In Ihrem schönen Katalog fand ich dazu folgendes:

„Diese Arbeit stellt eine bildnerische Untersuchung des vermittelten Bildes dar. Zehn Ikonen zeigen Porträts ausgewählter Personen beim Betrachten eines Objektes. Inwieweit beeinflusst das Medium die Intensität und Ausdruckskraft eines Blicks? Gibt es bei der Betrachtung technokratischer Medien, wie Computer, Gameboy oder TV oder eine andere Art der Entrückung, beziehungsweise Be- oder Entseelung verglichen mit traditionelleren Medien oder hängt die Intensität eines Blickes nicht vielmehr mit der Identifikation und persönlicher Involviertheit in Bezug auf das betrachtete Medium zusammen? Darüber hinaus bildet die Aufnahmesituation selbst sogar noch einmal einen Komplex der möglichen, graduellen Beeinflussbarkeit. Fragen, auf die auch der Betrachter eine eigene Antwort finden mag, wenn er – auf zeichenhafte Indizien gestützt – versucht, die dargestellten Porträts mit dem auf Video gebannten Medien zusammenzuführen.“

 

Nicht weniger komplex, diesmal aber in der Bildkomposition selbst sind die Strips im unserem Bibliotheksdurchgang. Durch die Bogendecke im Raum assoziierten Eva Ruhland und ich gleich eine U-Bahn-Situation oder Fahrten durch Bahnhöfe mit ihren Werbebannern, deren Einzelbilder sich durch Vorüberfahren in der Wahrnehmung übereinanderlegen. „Der Aufenthalt in den Dingen“ heißt diese Arbeit und thematisiert den Versuch Gegenwart und Vergangenheit visuell gleichzeitig zu fassen. Vor Allem im Vorübergehen, also in der Bewegung erschließen sich die Strips und der ganze Raum mit seiner jetzt kongenialen Decke gerät zu eine Art Timetunnel.
Wenn sie diesen Tunnel nun erfolgreich durchschritten haben, begegnet uns im nächsten, auf der Rückseite des Hauses gelegenen Raum überraschenderweise wieder der Ort an dem ich hier gerade stehe oder seiner gerasterten Spiegelung oder einfach nur einem großen Schwarz, je nachdem an welcher Stelle seines Ablaufs sich das Video der Installation gerade befindet. Technisch gesehen ist es eine Videoperformance, welche auf die Projektion unseres großen Fensterraumes nochmals projiziert ist. Das „Fibonacciprinzip“. So heißt diese spannende Video Performance.

 

Die Fibonacci-Folge ist eine unendliche Folge von Zahlen bei der sich die jeweils folgende Zahl durch Addition ihrer beiden vorherigen Zahlen ergibt. Benannt ist sie nach Leonardo Fibonacci, der damit 1202 das Wachstum einer Kaninchenpopulation beschrieb. Wie Eva Ruhland das nun konzeptionell verwendet, kann man in ihrem Katalog beschrieben finden. „Die Videoinstallation dekonstruiert den Raum nach der Gesetzmäßigkeit der harmonischen Fibonacci-Zahlenfolge und bringt ihn zum verschwinden. Dieses Verfahren wendet Eva Ruhland in einer gefilmten Performance an, bei der sie ein Wandgitter mit 104 quadratischen Feldern nach der Maßgabe des goldenen Schnitts systematisch mit schwarzen Tafeln beschließt und zum Schluss in der Manier eines schwarz maskierten Einbrechers selbst darin verschwindet. Damit erlischt auch das Videobild als solches und dessen Projektion im Raum“.

 

Nach dieser Erhellenden, wie verdunkelnden Performance nehme ich gern den Faden wieder auf, der sich, wie ich meine durch die ganze Ausstellung zieht. Das sind Ruhlands Waffenschmuck oder Schmuckwaffen, ihre „Bijoux Granates“ und überhaupt das Waffen- und Gewaltthema. Und wenn man sie so auf den Säulen liegen sieht – und wir überlegten lange, ob wir sie auf Säulen legen können – haben sie so etwas von Designerstücken und sie würden in der Schmuck- und Designabteilung der Pinakothek gar nicht auffallen und wir überlegten, ob es in der Pina überhaupt Waffendesign zu sehen gibt und wenn nicht, warum nicht und ob Design moralisch ist. Eva Ruhlands „Bijoux Granates“ sind es ganz bestimmt, einfach weil es Kunstwerke sind und ich denke, das Kunst immer moralisch ist und wenn sie noch so sarkastisch daherkommt, wie z.B. in ihrer graphische Serie „7 Tag Regen“ im nächsten Raum.
Auf acht Graphiken zeigt Eva Ruhland Handgranaten und ihre kleinen, schmucken Minen – kleine Minchen sozusagen, kollagiert mit Konstruktionszeichnung aus dem Internet – wie sie mir erzählte – und immer einem bestimmten Gebäude zugeordnet vom Kölner Dom bis zu Allianz-Arena, wie eine ästhetische Gebrauchsanweisung, eine Bauanleitung und schön gemachter Beipackzettel eines optionalen Vernichtungsprogramms. „7 Tage Regen“, sind eigentlich sieben Graphiken. Es hängen aber acht und Eva möge mir verzeihen, dass ich nicht mehr weiß, was es mit der achten Graphik auf sich hat.

 

Oben im ersten Stock treffen wir auf Eva Ruhlands Musen oder ihre technoide Adaption dieser Mythologie. Zu kleinen, ein wenig grusligen Maschinchen und ein bisschen, wie in “Matrix der Wachowsky – Brüdern schrumpfen die Schutzgöttinnen der Künste zu kleinen, handlichen und reproduzierbaren Apparaten.
Next one und nächster Raum und Evas Katalog entlässt mich auch hier ein bisschen aus der Arbeit.„Sale of Silence“ heißt das Video. Eine virtuelle, sich drehende, dreidimensionale Litfaßsäule mit Textanimation, Slogans, Bildern und Filsequenzen wird als Videoprojektionen gezeigt. Texte und Bilder sind immer wieder von ihrem vermeintlichen Urheber „No Company“ ausgewiesen und signiert. No Company hinterfragt den Wert humanistischer Begrifflichkeit und nicht kommerzieller Produkte wie zum Beispiel die Stille auf deren potenzieller Käuflichkeit. Links daneben erscheint als nächste Arbeit die Videoinstallation „Alpha oder der Menschenpark“ und Eva erklärt dazu. Das Video stellt den Menschen als Züchter dar und als Resultat von Züchtung. In einer Art von virtuellem, platonischem Zoo werden verschiedene, parallel zueinander existierende Realitäten vorstellbar, als würde man zuerst in ein Mikroskop blicken und dann durch ein Fenster. Die fragmentarische Reise durch die Welten reicht von der menschlichen Zelle über das Schema einer Herz-Lungen-Maschine und die Teilchenatmung der Lunge bis hin zur abstrakten Menschenmasse vom Tier im Zoo über den Paradiesvogel bis hin zum Tier-Mensch-Morph. Die Grenzen der Menschenmaschine zwischen Wissenschaftsfortschritt und Ethik sind offen.

 

Im großen Raum schließlich aber nicht endlich, – wir haben noch was im Keller – treffen wir auf ein komplexes Werk aus Textarbeit, einer begehbaren Bodeninstallation, einem Video und einem interaktiven Gästebuch. Eva Ruhland untersucht hier die Möglichkeiten der Kommunikation von der Kunstrezeption bis hin zum Kampfgebaren, von der Einfühlung bis zum Schlagabtausch.

 

Die Textarbeit“ The other ain´t another“ empfängt den Besucher und wirft die Frage nach Selbst- und Fremdbild auf. Weiter kann man Felder eins Schachbretts betreten, die dialogische Aspekte des Kunstmachens mit Performance-Fotos der Künstlerin zeigen und dabei selbst Teil der Performance werden. Ein „Stabile“ von Speer und Säbel, hält sich im künstlichen Gleichgewicht des „Waffenstilltands“ verteilt über den Ausstellungsraum lädt ein interaktives, textuelles Gästebuch den Besucher ein, seine eigene Rolle im Ausstellungskontext zu markieren. Eine optimale Abstimmung möglicher Kommunikation formuliert sich letztendlich in den Regeln des vorgeführten Kung-Fu-Videos: ein perspektivische Projektion, die sich fortsetzt in einer Doppel-Dia-Serie, welche das Gebaren zweier Kung-Fu-Gegner mit wechselnden Positionen und Seiten zeigt. Die Aspekte ihres Handelns sind nur zu erahnen, doch ritualisiert und vordefiniert. Aktion und Reaktion geraten durch die Projektionsgröße der Gegner aus dem Lot. Über den Raum verteilt lädt das interaktive Gästebuch den Besucher ein, seine eigene Rolle im Ausstellungskontext per Fähnchen zu markieren. Die Auswahl der über fünfzig Begriffe reicht vom „Kunstfreund“ über den „Flaneur“ bis hin zum „Ignoranten“. Nicht zuletzt heißt das Werk „ Harte Arbeit“ was ich schon unbesehen glaubte und darüber hinaus ist es die deutsche Übersetzung von Kung Fu.

 

 

Ausreichend positioniert, wie sie jetzt sein sollten erwartet sie im Keller ein Video, produziert anlässlich des Mozart-Festivals im Schloss Dachau und ursprünglich für fünf Fenster im Festsaal des Schlosses gemacht. Auch hier befasst sich Eva Ruhland mit künstlichen und systemübergreifenden Methoden und Genie-Rezepturen zwischen anarchischer Kreativität und ritueller, quasi-religiöser Kommunikation – und im Falle Mozart, war es die der Freimaurer.
Selten hatten wir im Ganserhaus so wunderbare und helle Einblicke in die Welt der Kommunikations- und Kreativstrategien einer Künstlerin, ihren Befürchtungen und deren Kompensation, welche am Ende nicht Furcht noch Sorge, Ermahnung oder Belehrung sind, sondern einfach nur ein großartiges und berührendes, ästhetisches und emotionales Erlebnis.

 

Stefan Scherer | 05.03.2011

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