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Flatz | Idioten

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Wolfgang Flatz – Idioten | 29.08.2010 – AK68 Galerie im Ganserhaus

 

Dass wir uns hier so drängen müssen, ist nicht nur eine kunstkonzeptionelle Unbequemlichkeit, sondern auch das Ergebnis Ihrer Entscheidung sich dieser unbequemen und sperrigen Installation auszusetzen. Und ich danke Ihnen an dieser Stelle schon jetzt für Ihren Mut und Ihre Entschlusskraft.

 

Als Flatz auf unsere Einladung im vergangenen Jahr das Ganserhaus zum ersten Mal sah und wir noch an eine, eher klassischen Objekte -Show dachten, war er sofort inspiriert vom Format der Räume, ihrer Größe oder besser, ihrer seit Jahrhunderten unveränderten Kleinheit. Etwas also, was für mich als Kurator eine eher „schwierige Kiste“ ist. Mehr und mehr entwickelte sich so die Idee einer „Umdeutung“ der Galerie, weg vom üblichen Ausstellungsdasein, hin zu einem Gesamtkunstwerk durch Verdichtung und Verbarrikadierung aller Galerieräume. Er assoziierte angesichts unserer, sich unter den Jahrhunderten biegenden Gewölben und Deckenbalken zunächst Stangen und Stützen und entschied sich dann schnell und endgültig für die herkömmlichen Bau- und Deckenstützen, wie wir sie auf jeder Baustelle sehen können. Und was dann folgte war ein Aufbaumarathon, ein Kraftakt und Baustützenexzess und im Ergebnis ein Parcours ausufernder Barrieren und Hindernisse, der vom Publikum erst mal ganz und gar körperlich bewältigt werden muss. Am Ende des Weges wartet dafür die Belohnung, eine Information, vielleicht sogar Erkenntnis, die dieser Ausstellung als Teil eines gemalten Zitates den Titel gab, in Ponderosa-Ästhetik, wie der Rest eines verlassenen Jugendzentrums. Sie werden es sehen, oben im letzen und kleinsten Raum der Galerie am Ende der labyrinthischen Schneise, die Flatz gelassen hat. Aber sie müssen den Gang schon gehen bis ins Finale und damit einen Weg kompromissloser, körperlicher und mentaler Herausforderung in der Überprüfung der eigenen Position, sich selbst und dem Werk gegenüber.

 

Flatz setzt hier und kongenial zur vierhundert Jahre alten Architektur des Ganserhauses seine Serie der „Physical Sculptures“ fort. Schon 1992 auf der Kasseler DOCUMENTA IX zog er das Publikum physisch in sein Konzept mit ein. ›Bodycheck/Physical Sculpture No. 5‹ war der Titel dieser Arbeit. Im Fridericianum in Kassel hingen, den gesamten Raum ausfüllend, eine Vielzahl von Sandsäcken, ähnlich wie sie die Boxer zum Training benutzen und einem Gewicht von 60 Kilogramm, was Flatz’ Körpergewicht entspricht. Jeder Besucher der dahinter liegenden Ausstellungsräume musste nun durch diesen „Skulpturenwald“ hindurch, ihm blieb dabei jedoch lediglich ein Zwischenraum von 40 Zentimetern. Aus diesem Grund musste jeder Besucher die Skulptur berühren und wegschieben.„Sie erlaubt ihm die Fortbewegung nur als bewusste Handlung“, so Flatz in seinem Konzept-Papier, „als direkte körperliche und geistige Auseinandersetzung mit der Skulptur selbst.“ Im Ganserhaus sehen Sie nun eine weitere „physikal sculpture“ Die engste Stelle in dieser, im Ak68 zum ersten Mal gezeigten Prototyp der Baustützeninstallation sind wiederum vierzig Zentimeter. Und so bleibt auch hier das Maß aller Dinge Flatz´ „Body-Mass-Index“.

 

Der eigene Körper ist ihm das wesentliche Erlebnis- und Erfahrungsinstrument, die direkteste Wahrnehmungsoberfläche-, und nicht zuletzt ein Dokument seiner Arbeit und künstlerischen Haltung. Flatz selbst sagt dazu: „Haut ist für mich Oberfläche und bildet das größte Organ. Haut bestimmt die Kontur und ist für mich ein Seismograph für die Empfindlichkeit des Körpers.“

 

Eben diese Empfindlichkeit oder Sensibilität vor der Flatz spricht ist gefragt, wenn sie sich in sein spektakuläres Barrieren- und Behinderungsdickicht begeben. Es fordert ganz und gar ihre körperliche Wahrnehmung und sie werden bemerken, dass sich ihr Körper schneller positioniert, als sie denken können, d.h. wenn sie ihn lassen. Der Philosoph Martin Buber differenziert zu diesem Thema sehr erhellend zwischen Erleben und Erfahren und rät, sich zunächst einmal gänzlich dem Erleben zu überlassen und erst dann eine Erfahrung daraus zu machen. Und ganz analog dazu formuliert Wolfgang Flatz: „Differenzierung ist für mich die Basisarbeit des Künstlers. Ich fange beim Chaos an und ordne neu um die bestehenden Normen zu hinterfragen.“ Und es ist großartig, wie der Künstler exakt dies hier im Ganserhaus durch dekliniert. Die ganze Installation entwickelt dabei visuell eine Schönheit, die angesichts der ursprünglichen Profanität dieser 187 Baustützen nicht zu erwarten war. Eben hier zeigt sich die Kunst des Wolfgang Flatz, in der Neuordnung der Dinge und ihres Kontextes, durch Begegnungen und Konfrontation neue, andere Deutungen zu provozieren.

 

Und nun noch ein Wort zum Titel “Idioten“ Ich habe zwar versprochen nichts weiter zu verraten, was da am Ende des Flatzschen Skulpturenwaldes auf sie warte, kann Ihnen aber vielleicht so viel mit auf den Weg geben: Idiot bzw. „idiotes“ bezeichnete in der Antike erst mal nur die „Privatperson“, was aber auch bedeutete für nichts anderes oder „öffentliches“ geeignet zu sein, also einfältig oder eindimensional. Erst in neuerer Zeit wurde der Begriff endgültig als Schimpfwort benutzt, oder synonym zu „Dummkopf“ oder „Depp“ Und so empfinde ich persönlich diese, so betitelte Kunstbarrikade, als Meisterwerk des Widerstands und der Zumutung und als wunderbare Metapher für die uns tagtäglich entgegenschlagenden Behinderungen, Hemmungen und Ablehnungen, durch Eindimensionalität, Einfältigkeit und Idiotie.

 

Stefan Scherer | 29.08.2010

 

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