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Susanne Hanus, Monika Humm, Tatjana Utz | transformation urban

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Humm, Utz, Hanus – transformation urban | 28.10.2012 – AK68 Galerei im Ganserhaus

 

„transformation urban“ oder Eingriffe in den urbanen Raum titeln die Künstlerinnen den hier sichtbaren Teil ihres Projekts in seiner jetzigen Form, Stand Oktober 2012. Denn so, wie ich diese Schau verstehe ist das, was sie hier heute Abend sehen und erfahren können – und das immer wieder, wenn sie unserer Galerie besuchen und ganze 4 Wochen lang – sowohl Teil eines Prozesses innerhalb der Künstlerinnen, als auch eine fortschreitende Reflektion und Reaktion auf die beschleunigten und revolutionären Veränderung im urbanen Raum, den Megacities, ihren Wohnvierteln und Verkehrszentren.

 

Das, was viele von uns wohl nur aus den Medien kennen, wie die Favelas von Rio de Janeiro, die alten und neuen Stadtviertel Shanghais und die Hamburger oder Istanbuler Containerhäfen erlebten Tatjana Utz, Monika Humm und Susanne Hanus tatsächlich vor Ort, also leibhaftig recherchiert und umgesetzt in Fotografie und Malerei, wie bei Monika Humm, in Tatjana Utz Zeichnungen und in die seltsamen Gespinste und Verstrickungen von Susanne Hanus.

 

Und nebenbei empfinde ich die heutigen Möglichkeiten für Künstler zu reisen so großartig, wie beneidenswert. Besonders dann, wenn im Ergebnis den Sinnen etwas zurückgegeben wird, wie in dieser Schau, – ein Souvenir, – eine Erinnerung an das, was uns bevorsteht, als globales Phänomen.

 

„Global“ so auch der Titel der Bilderserie von Monika Humm, von dem das erste schon im Eingang der Galerie zu sehen ist. Monika Humm, die in München Kunstgeschichte und bis 2007 bei Sean Scully Malerei studierte erklärt folgendes dazu: “ In meiner über zwei Jahre andauernden Fotorecherche wurden die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sichtbar. Während noch 2006 vollbeladen Containerschiffe die Asienroute bedienten, durchquerten im Frühjahr 2009 überwiegend leere Frachter in Istanbul den Bosporus. Im Zeichen der Globalisierung des Warenverkehrs finden sich überall auf der Welt ähnliche Strukturen, wie ich sie im Hamburgern Hafen, in Istanbul oder im Münchner Containerdepot fotografisch festzuhalten versucht habe. Die Fotos werden zerschnitten und auf Holzpaneele aufkaschiert, die Bildinhalte aus ihrem Zusammenhang gerissen, neu geordnet und in ein fiktive Realität transformiert. Diese Foto-Kollagen werden dann in netzartigen Strukturen mit Acryl und Ölfarben übermalt. So entstehen Ein- und Ausblicke in abstrakte Bildwelten aus realer Fotografie und abstrakter Malerei in denen sich Räume weiten und verengen. In diesem Spiel mit der Wahrnehmung steht am Ende Mögliches Unmöglichem und Reales Irrealem als abstrakte Malerei gegenüber.“

 

Ich persönlich sah auf den ersten Blick nur diese wunderbare Struktur, fand’s cool und als abstrakte Malerei ganz großartig und bei nähere Betrachtung, – als ich das Foto als Malgrund entdeckte – die ganze Verwandtschaft vom Übermaler Arnulf Rainer bis zu Scullys Streifen. Das ist zwar von mir persönlich angedichtet aber ganz bestimmt ist es gute Gesellschaft, kluger Geschmack und wunderbare Malerei über Urbanität und Stadtnatur

 

Hier in diesem Raum, stehe ich nun zwischen zwei neuen Arbeiten aus der Serie „La Haine“ von Tatjana Utz. Sie studierte in den Neunzigern zunächst u. a. Germanistik und Kunstgeschichte um anschließend bei Sean Scully in München als Meisterschülerin ihr Diplom zu machen. Sie schrieb mir zu diesen neuen Arbeiten folgendes: „Bei der Serie „La Haine“ handelt es sich um großformatige, gemalte Filmstills nach dem gleichnamigen Film „Hass – La Haine“ von Mathieu Kassovitz. Es sind Szenen aus den Banlieues von Paris. Sie könnten allerdings in jeder beliebigen Großstadt der Welt und der heutigen Zeit spielen; gängige, stadtsoziologische Motive dokumentieren die für große Städte typische Ghettobildung. Bei der malerischen Umsetzung wurden Filmszenen verwendet, die sich auf die Gestik und Mimik der drei Hauptdarsteller konzentrierten. Es entstanden Bilder, welche die codierte Körpersprache der „Ghettokids“ in den Vordergrund rücken und beim Betrachter Erinnerungen an Klischees auslösen, die er aus Zeitungen und Filmen kennt. In der Bilderserie „La Haine“ sind Phänomene der Gewalt und die Auflösung des Sozialen in den gettoisierten Stadtteilen das zentrale Thema. In der malerischen Umsetzung wird, wie im Film auf starke Farbigkeit verzichtet, um die Brutalität und die Tristesse der Szenen zu verstärken. Inszeniert wird hier das hässliche Paris, die Vorstädte in ihrem grauen Alltag als realer Facette moderner Urbanität.“

 

Einen weiteren Werkzyklus von Tatjana Utz. „Megapolis“ zeigt Tatjana Utz sehen im ersten Stock, eine Pop-Up-Dokumentation aus dem Reich der Mitte, wie Tatjana Utz es nennt.

 

Ich rätselte ein bisschen über den Begriff Popup-Doku. Diese Popups visualisieren sich in 14 kleinen Guckkästen, einer ungewöhnlichen Mischung aus eben diesen Guckkästen und übereinandergelegten Zeichnungen und wirken auf mich ein wenig, wie diese Aufstehbildern, die ich aus meiner Kindheit kenne – Bücher, die beim Aufklappen dreidimensionale Bilder erscheinen ließen. Natürlich aber kennen die meisten den Begriff aus dem Netz als beliebig oder plötzlich aufklappenden Bildchen auf dem Monitor. Aber sehen sie selbst und Tatjana Utz selbst beschreibt diese Serie folgendermaßen: „Die Zeichnungen führen den Betrachter mitten in den wucherenden Organismus Shanghai und ermöglichen private Einblicke in die letzten sozialen Biotope der Millionenstadt. Jenseits der glitzernden Fassaden von „Boomtown“ führt „Megapolis“ den Betrachter in Garküchen und auf die Märkte der Stadtviertel, die den Bauplänen zum Opfer fallen werden. Megapolis ist eine zeichnerische Spurensicherung volkstümlicher Enklaven, umgeben von Hochstraßen und Wolkenkratzern.“

 

Und in Anlehnung an die chinesische Tuschzeichnung sind alle Guckkästen-Inhalte in eben dieser Technik ausgeführt und im Ergebnis erscheint eine so merkwürdig-hermetisch wie ästhetische und spannende Erzählung.

 

Bevor sie sich dieser Geschichte aber nähern können, sollten sie sich erst noch den Verstrickungen von Susanne Hanus aussetzen, der dritten Künstlerin dieser Gemeinschaftsausstellung. Auch sie war Meisterschülerin, studiert in Dresden, Berlin, Glasgow und München und ist heute u.a. Lehrbeauftragte der HfbK Dresden. Das erste Objekt, das uns Susanne Hanus ganz im Thema urbaner Phänomene entgegenstellt ist ein Holzparavent als raumgreifende Installation, die sich an der Bauweise von brasilianischen Favela-Hütten orientiert, kombiniert mit Holzschnittbildern, welche die dortigen Lebensverhältnisse versatzstückhaft nachempfindet. Im nächsten Raum zeigt uns Susanne Hanus dann eine ihrer wunderbaren Verstrickungen: filigrane Netze, Raumzeichnungen, wie von der Zweidimensionalität emanzipierte Linien. Und in Anlehnung an die vorgegebenen Architektur, die sie mit ihren Wollfäden verstrickt, entsteht hier die Vorstellung eines geheimen alternativen Entwurfes, etwas, dass sich im nächsten Moment auflösen könnte, eine selbstgestrickte Phantasie.

 

Susanne Hanus erklärte mir dazu: „Verstrickungen“ ist ein Projekt, das ich im Februar 2000 begonnen habe und das fortgesetzt wird. Verstrickungen mit Wolle im öffentlichen Raum oder in Innenräumen sind eine Metapher für viele Aspekte unseres heutigen Lebens. Sie sind eine Sichtbarmachung von Vernetzungen und Beziehungen, Kontakten und Abhängigkeiten. Sie können überall stattfinden, zeigen stellvertretend an einem Ort was überall gedacht werden kann.“

 

Susanne Hanus installiert ihre Verstrickungen in Erweiterung dessen, was wir hier in der Galerie zu sehen bekommen, also auch im Außenraum und zwar weit mehr als man zunächst annehmen darf.

Sie interveniert nämlich seit mehr als 10 Jahren mit ihren Verstrickungen, quasi interkontinental im öffentlichen Raum von Polen bis Brasilien, Georgien bis Schottland und von Berlin bis zuletzt Solothurn in der Schweiz. Hier in Wasserburg aber ein bisschen weniger ausgesetzt als in ihrer sonstigen Streetart-Strategie, die sie in ihren Video im ersten Stock und der Dia-Schau im Keller dokumentiert.

 

Als ich den drei Künstlerinnen beim Aufbau ihrer Schau ein wenig assistieren durfte, kam ich gerade hochinspiriert von „Common Ground“ der Architektur-Biennale von Venedig. Ich muss aber dazusagen, das ich in den Gardini und Arsenale inhaltlich nur sehr wenig verstand aber überflutet war von Bildern, Raumerlebnissen und dem Gefühl einer globalen Anstrengung und Kreativität im Ringen um eine humane Ästhetik des globalen urbanen Lebensraums. Und es freut mich sehr, dass ich, wie mein Kuratoren-Glück es will, hier in dieser Ausstellung „transformation urban“ exakt so empfinde kann, wie auf der Biennale, obwohl sie doch so viel größer ist. Das tröstet mich nicht nur über den Venedig-Abschied hinweg, sondern bestärkt mich auch in der Ansicht, dass alle großen, ernsthaften und aufrichtigen Künstler und Künstlerinnen in dieser globalen Anstrengung unterwegs sind und weltweit ihre Spuren hinterlassen, so wie bei uns Monika Humm, Tatjana Utz und Susanne Hanus mit ihrer Schau „transformation urban“ und das auf so großartige Weise.

 

Stefan Scherer | 28.10.2012

 

 

 

 

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