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Bodo Rott, Yasam Sasmazer | Rund gemalt – Bunt gehauen

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Rott, Sasmazer – Rund gemalt, bunt gehauen | 23.10.2011 – AK68 Galerie im Ganserhaus

 

Wie es der Zufall will und die Unwägbarkeiten von Ausstellungsplanungen, hatten wir es bis letzte Woche noch – in einer spontan eingeschobenen Kinder-Mal-Schau – mit „Kunst und Kindern“ zu tun, hier und heute aber rund gemalt und bunt gehauen, ganz unübersehbar mit „Kindern in der Kunst“ was, wie sie sehen werden so ziemlich das Gegenteil ist. Und so verdanken wir es unseren anwesenden Künstlern Yasam Sasmazer und Bodo Rott, dass Kinder heute Abend hier nicht die kreativen Täter sind, sondern die Objekte oder Protagonisten der gezeigten Arbeiten, obwohl sie – wenigstens bei Rott – alle wie Täter aussehen, bei Yasam Sasmazer hingegen allesamt wie Opfer.

 

Allein dieser erste Eindruck eröffnet eine Vielzahl von Fragen und Möglichkeiten sich dieser Ausstellung zu nähern. Inwieweit z. B. sind die unterschiedlichen Perspektiven der Künstler auf ein ähnliches Thema geschlechtlich konditioniert und ist das irgendwie zu sehen? Yasam Sasmazer, 1980 in Istanbul geboren ist Bildhauerin, Bodo Rott 1972 in Ingolstadt ist Maler und gerade zum ersten Mal Vater geworden, wie ich ausplaudern darf. Ein weiterer Gesichtspunkt wäre der unterschiedliche sozio-kulturelle Hintergrund der beiden Künstler. Bodo Rott lebt in Berlin und Yasam Sasmazer in Berlin und Istanbul. Das ist grob gesagt Orient und Okzident, was sich aber – wenigstens als kulturelle Differenzierung – nur einen Augenblick so halten lässt, wenn man Berlin/Neukölln oder Istanbul kennt. Wer schon mal da war weiß, wie wunderbar sich hier wie dort die Grenzen verwischen. Und eben deshalb ist es interessant, diesem Aspekt im „Rundgemalt- und bunt Gehauenem“ unserer Ausstellung ein wenig nachzugehen. Dabei entdeckt man neben vielen anderen Deutungshinweisen in Yasam Sasmazers Arbeiten eine Neigung zur Tiefenpsychologie.Bei Bodo Rott aber ist es die Liebe zur Kunstgeschichte und man sieht es seinen Nichtkinderkindern, wie er sie nennt auch an. Der Berliner Kunsthistoriker Christian Malycha schreibt dazu:

 

„Man meint die eigentümlichen Figuren schon einmal gesehen zu haben, sei es in mittelalterlichen Fresken und Bildern von Piero della Francesca, bei de Chirico, Beckmann und Balthus.“

 

Ich persönlich – weit weniger elegant aber ebenso malereiverliebt – fühlte mich erinnert an Illustrationen aus den 30er Jahren aber auch an frühe Comics und sogar an gemalte Pinups aus den Fünfzigern, wie hier in der uns freundlich zu Verfügung gestellten Leihgabe „Tanzen lernen“. Aber eben in dieser rezeptionsästhetischen Offenheit begegnen wir Bodo Rotts komplexer, unverwechselbarer und so anspielungsreichen Bildsprache. Inhaltlich zwischen Komik und Schrecken, spielt sich da ein absurdes Kindertheater ab. Rohe Erzählfragmente in teils düsteren Räumen ohne Geographie, dargestellt von kindlich anmutenden Gestalten mit gnomenhaften Zügen – erwachsene Zwerge. Und es ist fast eine Zirkusnummer, diese Clowns, diese großen Kinder unsere Alltagsdramen spielen zu lassen, so wie sie uns in diesen Bildern begegnen. Wir zahlen, lachen uns Tod und beneiden Rotts Bildpersonal unendlich um seine anarchistischen Beschäftigungen mit dem Anderen in uns, dem fremden Rest, den die Welt noch bereit hält, wie Dr. Andreas Strobl einmal dazu schrieb. Und das alles in „leuchtenden Schlamm“ getaucht – so Rotts Wort für Farbe.

 

Bodo Rott malt, wie er selbst sagt am zweitliebsten aus dem Kopf, am drittliebsten nach Skizzen und am viertliebsten nach der Natur. Am allerliebsten aber malt er auf den drei beschriebenen Wegen gleichzeitig. Und was dabei herauskommt ist eine virtuose Malweise, die sich alle Freiheit nimmt von ausführlicher Figuration bis zum abstrakten Fragment. Annähernd naturgetreu gemalte Figuren konfrontiert er mit gestischen Farborgien. Schön ordentlich Gemaltes, schwebt in durchlöcherten Räumen, wüste Flecken im niedlichen Ornament und es ist, als bräche sich das Malschwein Bahn – im heiter düsteren Absurdistan der kleinen Strolche, wäre da nicht Rotts Liebe zur Kunstgeschichte, und diese -Traditionsverbundenheit ausstrahlende Aura – seiner Gemälde, die den Betrachter eher an alte Meister erinnern lässt, denn an zeitgenössische Vorlagen. Am Ende aber sind ihm seine kindlichen Protagonisten ein Haufen „Crashtestdummis in schmatzender Ölfarbe“ – und Bodo Rott liebt solche Begriffe und ich solche verbalen Vorlagen – und so zeigt er uns locker und virtuos sein bemerkenswertes Bildpersonal gern auch in knisternden Aquarellen, lauernden Lithos und viel leuchtendem Schlamm.

 

Wer aber sagt, dass Malen etwas neiderregend Schönes ist und wer, dass das Leben der Kinder unbeschwert sei. Ein Blick auf die weniger unbeschwerten Seiten dieses ambivalenten Zustandes, dieser zerrenden Metamorphose der Kindheit, dem Status des Wartens und Unvollendetseins, entwickelt Yasam Sasmazer in ihren Holz- und Bronzeskulpturen. Anna von Bodungen, die ich mit ihrer Kollegin vom Berlinartsprojekt heute im Ganserhaus sehr herzlich begrüßen darf beschreibt das, wie folgt:

 

„Das Hauptthema ihrer Holzskulpturen ist das Menschsein – insbesondere die Idee des Kindseins – der Widerstreit zwischen Gut und Böse, der untrennbar damit verbunden ist, sowie das aggressive Potenzial, das in jedem Menschen schlummert und Dr. Marc Wellmann vom Berliner Georg-Kolbe-Museum sieht in den Arbeiten Yasam Sazmazers den Diskurs – mit Verweis auf C.G. Jung – um die sprichwörtlich dunkle, verdrängte Seite unserer Existenz.

 

Yasam Sasmazers Werkreihen aus denen wir hier Gruesome Bear, Dark Twin, Treacherous Wolf und Sleepwalker zeigen können, basieren u.a. auf der Verbindung von Skulptur und Schattentheater. So beleuchtet ein Spot, wie in der Arbeit „Sleepwalker“ die farbig gefasste Figur derart von vorne, dass sich auf einer dahinterliegenden Wand ein bildhafter Schlagschatten abzeichnet. In den Bronzen Gruesome Bear und Treacherous Wolf bekommen die Figuren ihren Schatten sogar mitgeliefert. Diesmal aus Blech geschnitten und schwarz lackiert. Und weil es so erhellend ist für Yasam Sasmazers Schattenreich, zitiere ich hier nochmal Marc Wellmann: „Im psychologischen Sinne bezeichnet der Schatten diejenigen Eigenschaften, Gedanken und Gefühle eines Individuums, die von der Gesellschaft als triebhaft und sogar destruktiv angesehen werden, die jedoch zur Ganzheit einer Person gehören.“

 

Das Tröstliche daran ist, dass der Schatten nicht nur das Loch im Licht, sondern auch das sichtbare Indiz für unsere tatsächliche, vielleicht sogar gottgefällige Existenz ist. Schließlich hat der Teufel keinen Schatten und der Vampir kein Spiegelbild. Und in Yasam Sasmazers „Dark Twin“ endlich können sie sehen, wie der Schatten zum Spiegel mutiert. Gleichzeitig und bei allen Verweisen auf das „Drama des begabten Kindes“ und unsere vergessenen Alpträume von damals aber weisen besonders Sasmazers Holzskulpturen einfach eine wunderbare Oberfläche auf. Spuren ihrer Gemachtheit und ein Duktus aus Stemmeisenschlägen überziehen die Arbeiten. Darüber hinaus sind Yasam Sasmazers Kinderfiguren etwas über der natürlichen Lebensgröße gebildet und weisen so bei augenscheinlicher Realitätsnähe eine bemerkenswerte Abstraktion auf. Somit erreichen gerade Sazmazers größere Arbeiten, in der Darstellung eines irritierenden Missverhältnisses von Körpergröße und Innerer Reife ihre besondere Präsenz.

 

Sind es bei Bodo Rott also kleine Erwachsene, die uns in strapazierten Bildräumen scheu bis verwegen vorspielen, wie Leben geht, zeigt uns Yasam Sasmazer große Kinder und kleine Alpträumer getrieben von eigenen und fremden Visionen. „Besser ganz, als gut“ las ich bei Frau von Bodungen als C. G. Jung Zitat. Das fand ich schon großartig. Noch großartiger fänd ich aber beides und das bekommen sie in dieser Ausstellung, also: „Ganz viel Kunst und gut dazu!“

 

Stefan Scherer | 23.10.2011

 

 

 

 

 

 

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