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Albert Lohr | Remix

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Albert Lohr – Remix | 03.09.2014 – AK68 Galerie im Ganserhaus | Katalogtext

 

Remix

 

… meint eigentlich eine Technik der Pop- und elektronischen Tanzmusik. Tonspuren werden ausgeblendet oder hinzugefügt. Die Möglichkeiten des Remix reichen vom Mischen, Einfügen und Entfernen bis hin zur völligen Fragmentierung und Neuzusammensetzung des Songs oder seines Originalmaterials. Als Titel dieses Katalogs und der Werkschau im Wasserburger Ganserhaus 2011 aber ist „Remix“ vor allem ein wunderbarer Hinweis und zugleich eine Analogie zum Schaffen des Künstlers Albert Lohr, seinen künstlerischen Techniken und Methoden.

 

Bleibt man weiter im musikalischen Bild des „Remix“ und seiner Spielfelder, begegnet man einer ungeahnten Fülle von Entsprechungen zu Lohrs malerischen Konzepten. Begriffe wie Spuren, Mischen, Entfernen, Auflösung und Neuzusammensetzung sind geradezu charakteristisch für Lohrs Malpraxis. Selbst die repetitiven Arrangements des Techno, die durch ständige Wiederholung von Melodie und Rhythmus ihre tranceartige Wirkung erzielen, finden in Lohrs Werk ihre visualisierte Entsprechung. Die in seinen Bildern so suggestiven wie subversiven Anmutungen von Zellverbänden, Geflechten, Mikroskopien und Satellitenperspektiven, erzeugen eben ähnlich dieser Arrangements durch die Kontinuität ihrer Dynamik einen gleichbleibenden Rhythmus im unendlichen Muster. In der logischen und programmatischen Fortsetzung seiner Arbeit, seinen raumgreifenden Malereien und Installationen und ganz ähnlich einem sinnlich musikalischen Erleben, lässt Albert Lohr schließlich die Magie seines Tafelbildes in den Raum eskalieren, in ein überwältigendes All-over und erreicht nicht zuletzt das umfassende Erlebnis des Betrachters im räumlichen Ganzen.

 

Ornament und Abstraktion

 

Dass Lohr langjährige Erfahrung als Musiker in verschieden Rockformation hat, ist also nicht überraschend. Aber vor allem ist er Maler. Seine Affinität zu den Strukturen und Techniken der elektronischen Musik ist ihm Inspiration und akustische Analogie zu seinem großen Thema:„Ornament und Abstraktion“. Lohr selbst sagt dazu: „Die Diskussion um die Malerei erscheint mir nur in Bezug auf das Ornament und seine Bedeutung für die Moderne sinnvoll zu sein, wobei wir uns endgültig von dem Vorurteil des Ornamentalen als reine Schmuckform verabschieden und die reflexiven Elemente des Ornaments als ein kritische Form anerkennen müssen.“

Dazu muss man allerdings ein bisschen ausholen. Für die frühen Avantgardisten wie Kandinsky und Mondrian galt das Ornament lange als Sündenfall für die Abstraktion. Bis zu seiner Verdammung durch den Architekten Adolf Loos aber (Ornament und Verbrechen 1908) war das Ornament aber in einer jeweils eigenen, jahrtausendealten Geschichte präsent. Während die religiösen Impulse des Bildverbots im Islam zum Reichtum der geometrischen und arabesken Form führte und Leere vermeidend den Bildraum schmücken, reagierte in der Entwicklung der modernen Malerei ein Teil der westlichen Maler auf den Überfluss an Darstellbarem mit der Reduktion auf einfache Farbflächen. Ebenfalls durch fernöstliche Einflüsse beginnend mit den Ornamenten des Jugendstils, entwickelt sich aber auch die Linie zum Gestaltungselement der jungen Moderne. Und noch früher, gleichsam wegbereitend ordnete Phillip Otto Runge seine Bilder in symmetrisch-geometrische Kompositionen und lehnte seine Blattform dadurch an die Arabeske an. Solche Ornamente sind in der Folge auch bei so unterschiedlichen Malern wie Paul Gauguin oder Wassily Kandinsky zu finden. Piet Mondrian entwickelte seine Kunst vom frühen, noch leicht organischen „Blühenden Apfelbaum“ in die konstruktivistischen Linienbilder der späten Jahre. Paul Klee, Picasso, Josef Albers und Henry Matisse reduzierten ihre Abbildungen immer weiter auf die Linie und fanden so ein Mittel zur Abstraktion und einmal in Fahrt gekommen wurde die Arabeske in Kandinskys „Improvisationen“ oder Pollocks getropfter und geschütteter Farbe zur zerlegten Arabeske, zur nomadisierenden Spur, die das Konzept des Ornamentalen zunehmend ausdehnte. So verzweigte sich offenkundig die Geschichte des Ornaments in die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts und eröffnet neben dem Königsweg Kubismus einen zweiten Zugang zur Welt des Ungegenständlichen. Die amerikanische Malerei der 50er und 60er Jahre wurde zum zentralen Bindeglied zwischen Gegenwart und klassischer Moderne (Pollok, Johns, Kelly, Stella), die über Henry Matisse wesentliche Impulse im Hinblick auf ihre ornamentalen Gestaltungs- und Entwicklungsprinzipien bezog. Aber erst mit dem Paradigmenwechsel des amerikanischen „Postmodern“ und europäischen „Postinformell“ um 1960 verliert sich endgültig der bis dahin so produktive Gegensatz. In der Malerei der 80er und 90er Jahre, die gegenüber dem Ornament wenig Berührungsangst kennt, werden in Werken von Rosemarie Trockel, Sigmar Polke oder Daniel Buren die Begriffe der Reihung und des Rhythmus wichtig, die bisher ausgespart wurden.Ebenso in den neuen Medien, deren innere, digitale Logik viel mit den Bildungsgesetzen des Ornaments gemeinsam hat, feiert das Ornamentale eine auffällige Wiederkehr. So behaupten denn auch deren Protagonisten, wie Peter Kogler, Shirin Neshat und die Künstlergruppe „knowbotic research“: „Die Zukunft der vernetzen Kommunikation wird eine Ornamentale sein.“ Im Schaffen Albert Lohrs ist sie dies schon jetzt.

 

 

remix katalog

 

 

Kryptonit

 

In den 80er Jahren beginnt Lohr in teils großformatigen Arbeiten seine verrätselten Zeichen und Chiffren zu entwickeln. Wie grobe Kreidestriche auf den teilweise mit Erde und Pigmenten versetzen Bildträgern erscheinen Lohrs Zeichen wie Kryptographien aus einer Welt hinter dem Bild, einer fragmentierten, kollektiven Erinnerung und so entwickelt er eine Art moderne Archäologie auf seinen so pastos-sinnlich gestalteten Oberflächen. Bleibt man zur Betrachtung dieser Arbeiten, quasi als Assoziationsgeländer beim Begriff der Kryptographie, begegnet man folgenden Prämissen dieser Verschlüsselungstechnik: „Vertraulichkeit – Integrität – Authentizität“ und jeder einzelne dieser Begriffe lässt sich als rezeptionsästhetische Fragestellung anwenden:

 

Vertraulichkeit – Lohrs Chiffren und Zeichen lassen sich in ihrer Abstraktheit nicht einer definierten Botschaft oder Sinnhaftigkeit zuordnen, umdeuten oder anders interpretieren.

 

Integrität – Die Anmutung des Fragments oder eines über den Bildrand hinausweisenden Ausschnitts ändert in Lohrs Arbeiten nichts an deren formaler und absoluter Vollständigkeit, trotz aller über die, den Bildinhalt hinausgehender Vermutungen und Spekulationen, – etwas das im Werk Albert Lohrs aber als wunderbare Deutungsoffenheit erscheint, dieser großen und so wichtigen Freiheit des Betrachters.

 

Authentizität – Die Konzepte, nicht nur in dieser Phase seines Schaffens, zeichnen sich sämtlich durch die Sparsamkeit der Mittel und in ihrer Schlichtheit nichtsdestoweniger beeindruckenden Erscheinung aus. Besonders aber in seiner damit einhergehenden und so offensiv angelegten und angewendeten ornamentalen Ästhetik ist Lohr unverkennbar.

 

Die Dinge bewegen und verfeinern sich. Lohrs Malerei der 80er und 90er Jahre entwickelt ihren vorzeitlichen Höhlenmalerduktus und die gebrochene Geste über die Jahrtausendwende hinweg zum Abbild des Vorgefundenen, des Abdrucks und der graphischen Relikte unserer urbanen Zivilisation. Daraus entfalten sich zunehmend Geflechte und Ranken, die nicht zuletzt Lohrs große Affinität zur Arabeske, dieser Urform des Ornaments spürbar macht. Diese Gitter in ihren makro- und mikroskopischen Ausdehnungen, ihren ambivalenten Deutungsangeboten zwischen Straßenkarte, Röntgenbild, Bakterium und Dekorfragment heben in Lohrs Schaffen zunehmend die Trennung zwischen Abstraktion und Ornament auf und ziehen uns in eine höchst suggestive Formenpracht. Und immer bleibt die Leichtigkeit von Fleck und Fläche, wie beiläufig, minimalistisch, cool und prozesshaft. Seltsam schwerelose, gebrochene Linien, Grundriss- und Planzeichnungen. Aufrisse von Gängen und Kanälen in imaginärem Maßstab, Netze und Gitter, Anklänge organischer Strukturen, Close-ups auf vergehende Oberflächen und alles Teil eines riesigen Fundus an Möglichkeiten. Nicht weniger charakteristisch für Albert Lohrs abstrakt-ornamentale Arbeiten sind die Zeichen ihrer Gemachtheit, die Signaturen der Zeit und der eigenen Subjektivität. Die klare Linie nur manchmal gebrochen, als käme sie aus dem Kopierer liegt oft auf einer geradezu romantischen Oberfläche, mit allen Spuren ihrer Vergänglichkeit im Dienste und als Träger eines zeitlos intellektuellen und technoiden Zeichens. Der Kontrast zwischen produzierter Patina und Zeitgenossenschaft und die sich daraus ergebende Spannung zieht den Betrachter unweigerlich in diesen magischen Kosmos, den nur Malerei zu erzeugen vermag und speziell die Albert Lohrs, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Ordnung und der Freude am Chaos.

 

Das Raumfahrtprogramm

 

Das Gebaute um das Vorgestellte. Durch die Malerei wird die Architektur zur Welt und ohne Zweifel sind die ersten uns bekannten Kunstwerke untrennbar mit einer Art Wand verbunden, wie die Höhlenmalereien von Lascaux und Altamira. Lohrs Zeichen, Striche und Spuren, die eine ähnliche Ästhetik besitzen, scheinen wie inspiriert durch unsere kulturelle Frühzeit. Ins Urbane weiter entwickelt, modifiziert in die Ästhetik moderner Sehgewohnheiten, auf die Wand geworfen und in den Umraum entfaltet sich nun der ganze ornamentale Reichtum von Lohrs Formensprache in diesem nun raumgreifenden Werkabschnitt. Die Eroberung des Raumes ist die logische Konsequenz, eine Conditio-sine-qua-non im Schaffen Albert Lohrs, denn in gewohnter Weise remixt Lohr die Makro- und Mikrokosmen der neuen bildgebenden Verfahren, dieses verstörende, unübersichtliches Chaos, wie Ausschnitte überdimensionierter Schaltpläne nun an die Wand und es entsteht ein meterlanges Muster, eine raumgreifende Sicht, ein visuelles Geräusch und in seiner Gänze körperlich und mit allen Sinnen wahrnehmbar. Dieses All-over setzt radikal Alles mit Allem in Beziehung. Geräusche, Gerüche im visualisierten Weltgefühl und der eigene Körper als Referenz, schaffen ein umfassendes Kunsterlebnis in seiner grundlegendsten und einfachsten Form, dem emotionalen Ereignis.Lohrs raumgreifende Abstraktionen, im modernen Tafelbild entwickelt, flankiert durch die visuellen Möglichkeiten der neuen Medien und tradiert durch Matisse, der Malerei der De-Stijl-Bewegung des Bauhauses und vieler anderer aber auch als Ausdruck postinformeller Figuration lassen sich so und nicht zuletzt als Fortsetzung des Dekors mit anderen Mitteln lesen.

 

anything goes

 

Als happy end ist es Frank Sinatras „anything goes“ welches als Fanal der Postmoderne das Ornament als eine Bildform unter vielen aus dem unglücklichen Diskurs, sowie auch die Abstraktion in all ihren Formulierungen nicht nur von Gegenständen und Figuren befreit sondern auch von den ideologischen Attitüden und dem ehrgeizigen Pioniergeist ihrer Erfinder. Erinnern wir uns an Lohrs Musikalität und die Vielseitigkeit seiner kreativen Strategien und Inspirationsflächen. Sein Bekenntnis zum Ornament, dem Schmuck und dem Dekor entspringt der professionellen und gleichzeitig großen wie seltenen Fähigkeit, die Wahrnehmung des Malers über alle vorherrschende Mentalität und Rezeptionsästhetik zu stellen.

 

Denn Abstraktion ist vor allem Offenheit. Es geht um die Freiheit, die das Erforschen und Erschaffen möglicher Welten bedeuten kann; bei Albert Lohr das Dekor, das Ornament der Spuren und Zeichen, das visuell und körperlich wahrnehmbare Umgebungsgeräusch und Weltgefühl in seiner klügsten, spürbarsten und ornamentalsten Form.

 

 

Stefan Scherer | 03.09.2014 |

 

www.albert-lohr.de

 

 

 

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