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Bernhard Paul, Albert Lohr | Malerei

Stefan Scherer | Kunst und Texte | Paul, Lohr – Malerei | Galerie Markt Bruckmühl | 03.02.2013

 

Es macht mir die Sache entsprechend leichter, insofern ich die Ausstellung meiner Kollegen Albert Lohr und Bernhard Paul besprechen darf. Kollegen deshalb, weil wir alle miteinander Maler sind, uns immer wieder bei den üblichen Ausstellungen, Vernissagen und speziell bei den Einreichungen treffen und wenn nicht persönlich, dann doch über die unverkennbaren Bilder und bei Albert ist es dazu noch sein unverkennbares Wohnmobil, bei dem ich nie weiß, ob er damit gerade seine Bilder heranschafft oder vielleicht doch nur schnell einen Kaffee schnappt auf dem Weg nach Italien.

 

Richtig kennengelernt hab ich Albert Lohr aber anlässlich seiner Einzelausstellung im Wasserburger Kunstverein AK68 im letzten Jahr. Als Kurator seiner Ausstellung hatte ich damals die großartige Gelegenheit Alberts Werk, seine Arbeit, seine Methoden und Strategien näher kennenzulernen und vielleicht sogar zu ergründen. Und in meinem Atelier profitiere ich heute noch davon. Gut geklaut ist schließlich halb gewonnen, wie die Kunstgeschichte weiß.

 

Und Qualität ist auch im weitesten, wie im naheliegensten Sinne der Link über den ich mit Bernhard Paul in Berührung kam. Nämlich erstens durch den Ebersberger Kunstpreis, den er im Jahr 2011 im Rahmen der Jahresausstellung verliehen bekam und zweitens, im folgenden Jahr in seiner Eigenschaft als Juror der Ebersberger Jahresausstellung und der dazugehörigen Jurorenschau. Bernhard Paul nämlich stellte oder lehnte dort seine streng konzeptuellen Arbeiten einfach in den Raum, sehr beiläufig und sehr non-chalant und ganz gegen die Museumsperspektive. Ich fand das deswegen so auffällig, weil es die, für seine Arbeiten so charakteristischen Vertikalen, wenn nicht brach so doch ein wenig verbog und mir überhaupt im Widerspruch zu seiner konzeptuellen Strenge zu stehen schien. Im Zuge seiner Bruckmühler Ausstellung mit Albert Lohr besuchte ich ihn dann schließlich in seinem kleinen aber feinen Rosenheimer Atelier, um dessen wunderbare Heizung allein ich ihn schon beneide aber doch vor allem um dieses stringente Werk, ein farbiger Kosmos auf große und kleine Quadrate gezogen im Rhythmus sich fortwährend wiederholender Zeichen, die sich am Ende zu einem so sensiblen, wie farbintensiven Allover verdichten. Ich empfand die ganz Atmosphäre als sehr konzentriert und intim und wie zur Illustration meiner Wahrnehmung erklang im Hintergrund klassische, zeitgenössische Musik.

 

Musik ist überhaupt ein, wenn nicht der Schlüssel zu Bernhard Pauls ganzer Arbeit. Um das ein wenig zu erläutern, zitiere ich hier gern Frau Dr. Stegmayer vom Rosenheimer Kunstverein: „Um Bernhard Pauls Arbeit zu charakterisieren muss man den Begriff des Seriellen sowohl als künstlerisches Konzept , als auch als künstlerisches Ergebnis betrachten. Nicht nur, dass er in Serien arbeitet, die mehr oder weniger dem gleichen Herstellungsschema folgen, er demonstriert dem Betrachter gleichzeitig den Herstellungsprozess eines Bildes als zeitliches Phänomen.“ Durch eben dieses angewandte, zeitliche Phänomen, dem Zeitformat nämlich, als die eigentliche Wahrnehmungsdimension von Musik, verbinden sich in Pauls Malerei Klang und Rhythmus, Sequenz und Serie, Farbe und das Gleichmaß der Zeichen zu einer hochemotionalen Oberfläche – und wenn man so will, ist es die Quadratur des Kreises.

 

In unseren Museen nämlich, Kunsthäusern und Galerien ist es die zeitlose und materielle Anwesenheit von Kunst, die uns so faszinierende Aura des Originals, in der Malerei als zweidimensionales Ereignis und wenn wir es könnten, als unendliches Erlebnis. In der Musik aber ist es die Zeit, ihr Umfang und ihr Ablauf der unser Erleben und unsere Wahrnehmung definiert.

 

Ein ganz wunderbares und empfehlenswertes Beispiel für dieses Phänomen ist John Cages Komposition „Silence“. Das Stück, dass er im Jahr 1952 schrieb ist seine berühmteste Komposition und wird als „stilles Stück“ bezeichnet. Es besteht schlicht aus vier Minuten und 33 Sekunden, in denen nichts gespielt wird. Bei der Premiere wussten einige Zuhörer nicht einmal, dass sie überhaupt etwas gehört hatten. Was aber eigentlich zu hören war, war Zeit und in Bernhard Pauls Bildern ist sie analog zu dieser kleinen Geschichte sogar zu sehen, wenn man in Lesegeschwindigkeit den sporadisch durch Unregelmäßigkeiten gebrochenen Reihungen folgt, als zeitlich messbaren Akt, sozusagen in der dritten Dimension dieser zweidimensionalen Tafelbilder.

 

Serielles Arbeiten und das Sequell an sich werden so in Bernhard Pauls Malerei charakteristische Kriterien, hin zur Erweiterung in ein musikalisches Gleichnis. Das Einzelbild, das Sequell also ist der Takt und in der Binnenstruktur der Pinselstriche, wenn man so will, voller linear angeordneter Notenwerte und die ganze Serie fungiert am Ende als Chorus oder Komposition.

 

Ich zitiere hier gern noch mal aus Fr. Dr. Stegmeyrs Vorwort zu Bernhard Pauls Katalog „Farbtakt“ in dem sie das Ganze nochmal überaus klug und formuliert: „Das Verfahren serieller Bilderzeugung geschieht im Falle Bernhard Pauls nach einem einfachen Konzept. Gleiche Bildformate werden in einem technisch vorgegebenen Rahmen bearbeitet, so dass die formale Konstante Format durch systematische Wiederholung und Variation bearbeitet wird. Während des Malvorgangs orientiert sich Bernhard Paul an Rhythmus, Drive und ständiger Wiederholung, wie z.B. in Steve Reichs minimalistischer Musik. Sein Stück „six pianos“ welches mit Phasenverschiebung arbeitet basiert auf derselben Verbindung von Konstante und Abweichung. Beinahe scheint es in den Arbeiten Bernhard Pauls visualisiert, scheint die starke Visualität der Komposition, die durch eine ungewöhnliche Bewegungsdynamik und Verschiebung des Rhythmus gekennzeichnet ist, hier nochmal in einem anderen Medium thematisiert. Entsprechend wählt Bernhard Paul die Titel seiner Arbeiten aus dem Bereich der Musik, wie hier nach Steve Reich aber z.B. auch in einer Serie mittelgroßer Arbeiten, die nach einem Album Frank Zappas entstanden sind.“

 

 

Im Ergebnis, d.h. hier und heute und direkt vor Ort haben wir mit den Bildern von Bernhard Paul, – mal sehr analytisch ausgedrückt – ein multimedial generiertes Phänomen vor Augen und die Offenbarung eines Malprozesses, der ähnlich wie beim späten Monet als experimentelle, systematisch bildererzeugende Versuchsanordnung gesehen werden kann. So könnte man Bernhard Paul eine annähernd wissenschaftliche Distanz zu seinen Arbeiten unterstellen, charakterisiert durch eine fast mechanische Vorgehensweise und den Verzicht auf Ausdrucksziel oder Stilfindung. Und trotzdem treffen wir als Betrachter in Bernhard Pauls Bildern auf hochemotionale Oberflächen, die gerade in den Großformaten einen unwiderstehlichen Sog produzieren und in den Serien ein meditatives Vorübergleiten an transparenten Strukturen, übereinandergeschichteten Farbaufträgen und Pinselstrichen in einem, immer mal wieder mit kleinen Störungen versehenden, wunderbar rhythmischem Duktus.

 

 

Bernhard Paul ist Künstler – ganz und gar – und was immer wir wissen über seine Bildfindungs- und Produktionsstrategien, es ist das Tun, das Kunst produziert und bei Bernhard Paul nach strengen Regeln, sehr strukturiert, systematisch aber ganz im Dienste farbig-transparenter Leichtigkeit und klingender Zeichen. Selbstverständlich Künstler – ganz und gar – um nicht zu sagen „ausgekocht“ ist auch der Maler und Graphiker Albert Lohr. Und wenn für Bernhard Paul sowohl in der Betrachtung, als auch für seine Malkonzepte Begriffe wie System, Transparenz und Rhythmus bezeichnend sind, so sind es bei Albert Lohr die graphischen und malerischen Spuren, ihre Mischungen, Auflösungen und schließlich ihr Remix.

 

Speziell das Wort „Remix“, – eigentlich eine Technik der Pop- und elektronischen Tanzmusik – hat hier eine besondere Bedeutung für Albert Lohr.Denn der Begriff assoziiert nicht nur ganz ähnlich wie bei Bernhard Paul, Lohrs Affinität zur Musik, sondern beschreibt im weitesten Sinne auch seine Bildfindungsstrategien. Bleibt man im musikalischen Bild des „Remix“ begegnet man nämlich einer ungeahnten Fülle von Entsprechungen zu Lohrs malerischen Konzepten. Begriffe, wie die schon eben erwähnten Spuren, das Mischen, Entfernen und Neuzusammensetzen sind geradezu charakteristisch für Lohrs Malweise. Und so finden selbst die Arrangements des Techno, die durch ständige Wiederholung von Melodie und Rhythmus ihre tranceartigen Wirkungen erzielen, in Lohrs Arbeiten ihre visualisierte Entsprechung. Die in seinen Bildern so suggestiven, wie subversiven Anmutungen von Zellverbänden, Geflechten, Mikroskopien und Satellitenperspektiven, erzeugen eben ähnlich dieser Techno-Arrangements durch die Kontinuität ihrer Dynamik einen gleichbleibenden Rhythmus in einem unendlichen Muster.

 

Und in der logischen und programmatischen Fortsetzung seiner Arbeit, seinen raumgreifenden Malereien und Installationen, ganz ähnlich einem musikalisch-konzertanten Erleben, entwickelt sich die ganze Magie seiner Tafelbilder nicht nur in den Großformaten und großformatigen speziellen Tapezierungen sondern auch in seinen kleinen Serien und Solos. Lohrs langjährige Erfahrung als Musiker in verschieden Rockformation hat dabei erheblichen Einfluss auf sein Schaffen.

 

Aber vor allem ist er Maler und seine Affinität zu den Strukturen und Techniken der elektronischen Musik ist ihm Inspiration und akustische Analogie zu seinem großen Thema:„Ornament und Abstraktion“.

 

Albert Lohr sagt selbst dazu und ich zitiere das gerne, weil es ein wunderbarer Einstieg in Lohrs Werk- und Selbstverständnis ist: „Die Diskussion um die aktuelle Malerei scheint mir nur in Bezug auf das Ornament und seiner Bedeutung für die Moderne sinnvoll zu sein, wobei wir uns endgültig von dem Vorurteil des Ornamentalen als reiner Schmuckform verabschieden und die reflexiven Aspekte des Ornaments als kritische Form anerkennen müssen.“…und sie verzeihen mir bitte, wenn ich dazu ein bisschen ausholen muss.

 

Für die frühen Avantgardisten wie Kandinsky und Mondrian galt das Ornament lange als Sündenfall für die Abstraktion. Bis zu seiner Verdammung durch den Architekten Adolf Loos (Ornament und Verbrechen 1908) aber war das Ornament in seiner jeweils eigenen, jahrtausendealten Geschichte präsent. Für die Entwicklung der jungen Moderne waren die fernöstlichen Einflüsse, beginnend mit den Ornamenten des Jungendstils dennoch entscheidend. So sind Ornamente in der Folge auch bei so unterschiedlichen Malern wie Paul Gauguin oder Wassily Kandinsky zu finden. Auch Piet Mondrian mit seinen konstruktivistischen Linienbilder und Paul Klee, Picasso, Josef Albers und Henry Matisse reduzierten ihre Abbildungen immer weiter auf die Linie und fanden so ein Mittel zur Abstraktion. In Kandinskys „Improvisationen“ oder Pollocks getropfter und geschütteter Farbe schließlich wurde das Ornament zur zerlegten Arabeske, zur nomadisierenden Spur, die das Konzept des Ornamentalen zunehmend ausdehnte. Die amerikanische Malerei der 50er und 60er Jahre wurde dann zum zentralen Bindeglied zwischen Gegenwart und klassischer Moderne, die über Henry Matisse wesentliche Impulse im Hinblick auf ihre ornamentalen Gestaltungs- und Entwicklungsprinzipien bezog. Aber erst mit dem Paradigmenwechsel des amerikanischen „Postmodern“ und dem europäischen „Postinformell“ um 1960 verliert sich endgültig der bis dahin so produktive Gegensatz von Ornament und Abstraktion. In der Malerei der 80er und 90er Jahre schließlich, die gegenüber dem Ornament wenig Berührungsangst kennt, wurden in Werken von Rosemarie Trockel, Sigmar Polke oder Daniel Buren die Begriffe der Reihung und des Rhythmus wichtig, Begriffe, – die gerade hier – in dieser Ausstellung sehr anschaulich und überzeugend von Bernhard Paul und Alber Lohr fortgeschrieben werden. Und ebenso in den neuen Medien, deren innere, digitale Logik viel mit den Bildungsgesetzen des Ornaments gemeinsam hat, feiert das Ornamentale eine auffällige Wiederkehr. So behaupten denn auch deren Protagonisten, wie Peter Kogler, Shirin Neshat und die Künstlergruppe „knowbotic research“:

 

„Die Zukunft der vernetzen Kommunikation wird eine Ornamentale sein.“ Im Schaffen Albert Lohrs ist sie dies schon jetzt. So beginnt in den 80er Jahren Albert Lohr in teils großformatigen Arbeiten, seine verrätselten Zeichen und Chiffren zu entwickeln. Wie grobe Kreidestriche auf den teilweise mit Erde und Pigmenten versetzen Bildträgern erscheinen Lohrs Zeichen wie Kryptographien aus einer Welt hinter dem Bild, einer fragmentierten, kollektiven Erinnerung auf pastos-sinnlich gestalteten Oberflächen. Daraus entfalten sich zunehmend Geflechte und Ranken, die nicht zuletzt Lohrs große Affinität zur Arabeske zeigt. Diese Gitter in ihren makro- und mikroskopischen Ausdehnungen, ihren ambivalenten Deutungsangeboten zwischen Straßenkarte, Röntgenbild, Bakterium und Dekorfragment heben in Lohrs Schaffen zunehmend die Trennung zwischen Abstraktion und Ornament auf und ziehen uns in eine höchst suggestive Formenpracht. Und immer bleibt die Leichtigkeit von Fleck und Fläche, wie beiläufig, minimalistisch, cool und prozesshaft. Nicht weniger charakteristisch für Albert Lohrs abstrakt-ornamentale Arbeiten sind die Zeichen ihrer Gemachtheit, die Signaturen der Zeit und der eigenen Subjektivität. Die klare Linie, – nur manchmal gebrochen – , als käme sie aus dem Kopierer liegt oft auf einer geradezu romantischen Oberfläche, mit allen Spuren ihrer Vergänglichkeit im Dienste und als Träger eines zeitlos intellektuellen und technoiden Zeichens. Der Kontrast zwischen produzierter Patina und Zeitgenossenschaft und die sich daraus ergebende Spannung zieht den Betrachter unweigerlich in diesen magischen Kosmos, den nur Malerei zu erzeugen vermag und speziell die Albert Lohrs, hin und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Ordnung und der Freude am Chaos.

 

Aber nochmal zurück zum Ornament-Diskurs. Das „happy end“ nämlich dieser unglücklichen „Geld oder Leben“ oder „Deko, wer pinselt mir die Wahrheit“–Diskussion zeigt sich heute als künstlerische Haltung im „anything goes“ und so klingt der gleichnamige Sinatra-song, wie das Fanal der Postmoderne, welche schließlich das Ornament als eine Bildform von vielen, sowie auch die Abstraktion in all ihren Formulierungen nicht nur von Gegenständen und Figuren befreit, sondern auch von den ideologischen Attitüden und dem ehrgeizigen Pioniergeist ihrer Erfinder.

 

Erinnern wir uns aber auch an Lohrs und Pauls Musikalität und die Vielseitigkeit ihrer kreativen Strategien. Lohrs Bekenntnis zum Ornament, dem Schmuck und dem Dekor, sowie Pauls systematisch – experimentelle Malprozesse entspringen der professionellen und gleichzeitig großen, wie seltenen Fähigkeit, die Wahrnehmung des Malers über alle vorherrschende Mentalität und Rezeptionsästhetik zu stellen. Denn Abstraktion ist vor allem Offenheit. Es geht nämlich um die Freiheit, die das Erforschen und Erschaffen möglicher Welten bedeuten kann.

Bei Albert Lohr ist es das Dekor, das Ornament der Spuren und Zeichen, bei Bernhard Paul der systematische Duktus in transparent flirrender Oberfläche. Und Beiden gelingt es in dieser Ausstellung mit einer für mich so überraschenden, wie harmonischen Hängung – ein visuell und körperlich wahrnehmbares Umgebungsgeräusch zu schaffen und damit ein Weltgefühl in seiner klügsten und spürbarsten Form.

 

Stefan Scherer | 03.02.2013

 

www.bernhard-paul-kunst.de | www.albert-lohr.de

 

 

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